30.04.2021

Von Andrea Drescher

Ein Plädoyer für Gewaltfreiheit

 

Aggression und Gewalt auf den Demos der Corona-Maßnahmenkritiker nehmen zu. Nicht nur von Seiten der Demonstranten, sondern auch und vor allem von Seiten der Staatsmacht. In Berlin ging man beispielsweise bei der letzten Demonstration am 21. April unverhältnismäßig hart mit Wasserwerfern und Pfefferspray gegen friedliche Demoteilnehmer vor. Die Nerven liegen blank und die Entwicklung lässt Böses erahnen. Lässt sich hier noch entgegensteuern? Michael Fritsch, der derzeit dienstenthobene Kriminalhauptkommissar aus Hannover, gegen den aufgrund seiner Rede auf einer Demonstration ein Disziplinarverfahren läuft, äußert sich im Gespräch mit Andrea Drescher über die Gewaltexzesse in Berlin.

 

In Berlin gab es zahlreiche gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei. Wie waren Deine Erfahrungen?

Ich war natürlich nicht gleichzeitig an verschiedenen Stellen und kann daher immer nur für das sprechen, was ich selbst wahrgenommen habe oder was mir von anderen berichtet wurde. Selber wahrgenommen habe ich, dass die Polizei sehr forsch mit den Demonstranten umgegangen ist. Die Veranstaltung auf der Straße des 17. Juni wurde von der Polizei aufgelöst und beendet, die Demonstranten aufgefordert, sich durch den Tierpark zu entfernen. Das haben wir dann auch gemacht und sind mit anderen in den Tierpark gegangen. Entlang der Straße des 17. Juni sind wir dann in Richtung Brandenburger Tor gezogen. Es standen an mehreren Stellen Menschen herum, die versucht haben, mit den Polizisten zu sprechen.

War das erfolgreich?

Teilweise hatte ich das Gefühl, dass sachliche Gespräche stattgefunden haben, aber das waren wohl die Ausnahmen. Die Stimmung war eher aggressiv.

Hast Du Polizeigewalt gesehen?

Direkte Polizeigewalt kenne ich diesmal nur aus Erzählungen. Mir wurde von mehreren Personen unabhängig voneinander erzählt, dass seitens der Polizei völlig anlasslos auf Frauen eingeschlagen wurde, dass sogar direkt Faustschläge ins Gesicht ausgeteilt wurden, worauf die Frauen teilweise auch zu Boden gingen. Das sind Berichte von verschiedenen Augenzeugen, ich selbst habe solche Szenen aber diesmal nicht beobachten müssen.

Wie hast Du die Stimmung der Polizei insgesamt erlebt?

Es fühlte sich für mich so an, als ob die Polizisten nicht neutral, sondern ablehnend gegenüber allen Demonstrationsteilnehmern eingestimmt waren. Es gab einige wenige Polizisten, die mal ein Augenzwinkern hatten, die uns ganz minimal zugenickt haben oder denen man auch in die Augen schauen und sehen konnte, dass sie mit dem, was da passiert, nicht einverstanden sind. Aber es waren sehr wenige an diesem Tag.

Es ist aber auch schwierig für die Kollegen, mit uns ins Gespräch zu kommen. Sie stehen unter einem hohen psychischen Druck. Wenn sie sich den Demonstranten gegenüber öffnen oder wohlwollendes Verhalten oder gar Interesse zeigen, können sie schon von Kollegen, die neben ihnen stehen, angezeigt oder denunziert werden. Das reicht heutzutage schon aus, um Maßnahmen wie Disziplinarverfahren einzuleiten. Gedanken- und Meinungsfreiheit sind de facto Vergangenheit.

Wie ging es denn bei euch weiter?

Wir sind bis zum Ende des Tiergartens, ca. 50-80 Meter vor der Straße des Brandenburger Tors, gekommen. Dort verharrten wir in einer größeren Menge von Menschen, bis es dann auf einmal ziemlich hektisch und sehr lautstark wurde. Warum das so war, habe ich zunächst gar nicht mitbekommen, da ich ein intensives Gespräch mit einem anderen Demonstrationsteilnehmer führte. Dann machte mich meine Begleiterin von den „Polizisten für Aufklärung“ darauf aufmerksam, dass es zu einer Einkesselung von Kollegen gekommen sei. Die Situation drohte aus dem Ruder zu laufen. Die Polizisten wurden als Nazis bezeichnet, laute Rufchöre mit „Nazis raus“ waren zu hören. Auch waren bereits mehrere armdicke Knüppel und Steine in Richtung der Polizisten geflogen. Meine Begleiterin gab mir das Megafon und bat mich, zu intervenieren und für Deeskalation zu sorgen.

Ich habe beide Seiten immer wieder lautstark aufgefordert, zur Ruhe zurückzukehren, sich nicht gegenseitig anzugreifen, keine Aggression auszuüben, weder seitens der Polizei gegenüber Demonstranten noch seitens der Demonstranten gegen der Polizei. Die Lage beruhigte sich relativ schnell wieder. Ich habe dann mehrfach Passagen aus verschiedenen Gesetzen zitiert: aus den Menschenrechten, dem Grundgesetz, aus dem Strafgesetz sowie aus dem Beamtenrecht. Damit wollte ich auf beide Seiten einwirken. Jemand mit einer mobilen Lautsprecheranlage übergab mir das Mikro, da es etwas lauter als das Megaphon war. Damit erreichte ich mehr Menschen mit meinen Aussagen und den Gesetzeszitaten und versuchte weiter, die Stimmung zu entspannen und die Lage aus der Gewalt herauszubringen.

Es gibt ein Video, in dem man sieht, dass sich Deine Begleiterin zwischen Demonstranten und Polizei gestellt hat. Wie kam es dazu?

Während ich sprach, sind einige der rund 300 bis 400 Demonstranten auf die 10-12 Polizisten, die da standen, losgegangen. Daraufhin hat sich meine Begleiterin vor die Polizisten gestellt und sehr mutig dafür gesorgt, dass es nicht zu Gewalttaten gegen die Polizei kam. Ein sehr riskante Aktion – sie war aber hinterher auch völlig fertig. Ich bin sehr froh und ihr sehr dankbar, dass sie diesen Schritt gegangen ist. Das hätte sonst schlimm ausgehen können.

Du bist aber dann in Gewahrsam genommen worden. Wie ist das passiert?

Während ich meine Ansagen machte, näherte sich eine Gruppe von Polizisten durch die Demonstranten aus Richtung Brandenburger Tor und umstellte mich. Ein Polizist mit Maske und Helm, dessen Visier heruntergeklappt war, versuchte mir etwas zu erklären. Aufgrund der lautstarken Rufe der Menschen, die dort herumstanden, verstand ich kein Wort. Er deutete mir an, dass ich aus dem Wald herausgeführt werden sollte, was dann auch passierte. Die Gruppe geleitete mich aus dem Tierpark, vorbei am Brandenburger Tor.

Wie ging es bei Deiner Festnahme weiter?

Man führte mich zur Richtung Gefangenensammelstelle Richtung Reichstag. Ich hatte die Hände erhoben, als sie mich wegführten, und bestand auch darauf, sie oben zu lassen. Das ist ein klares Zeichen, dass ich keinen Angriff oder Gewalt ausübe. Hätte ich die Hände heruntergenommen, hätten sie mich fesseln, mir die Arme verbiegen oder ähnliches tun können. Weil ich weiß, dass so etwas vorkommt, blieb ich konsequent, obwohl man mich aufforderte, sie runterzunehmen.

Und sonst? Wie sind sie mit Dir umgegangen?

Sie haben mich einfach nur geleitet, rechts und links gehalten und geführt, aber ansonsten gab es keine Gewalt oder Aggression mir gegenüber. Ich gehe davon aus, dass sie mich kannten, auch wenn in der Gefangenensammelstelle viele Kollegen waren, die wirklich nichts zu wissen schienen. Ich sprach mit einigen, die nie etwas von Klaus Schwab, vom WWF oder Prof. Bhakdi gehört hatten. Einer kannte nicht einmal Telegram.

Wurde Dir mitgeteilt, warum man Dich verhaftet?

Auf dem Weg zur Gefangenensammelstelle wurde mir eröffnet, dass ich mitgenommen worden sei, weil ich keine Mund-Nasen-Bedeckung getragen und den Abstand zu anderen Personen nicht eingehalten hätte. In der Gefangenensammelstelle hieß es dann, ich hätte eine Ordnungswidrigkeit begangen, indem ich eine nicht angemeldete Versammlung als Rädelsführer durchgeführt hätte. Meine Deeskalationsmaßnahmen waren eine nicht angemeldete Versammlung. Aber gut. An dem Tag wurden nahezu alle bekannten Aktivisten verhaftet. Thomas Brauner, Björn Banane, der Pianist Arne Schmitt, Heinrich Fiechtner, Torsten Schulte: viele Redner und bekannten Köpfe wurden in eine Maßnahme genommen. Wie ich hörte, wurde auch die Gruppe um Hans, den Trommler sehr massiv angegangen. Auch dort – sagte man mir – wurden immer wieder Einzelne gezielt herausgefischt und fertiggemacht.

Wurde aus Deiner Sicht in Berlin diesmal besonders heftig durchgegriffen?

Also, ich sage es mal so: Es hatte den Anschein, dass seitens der Polizei bewusst eskaliert wurde, dass Angriffe grundlos gegen schwache und wehrlose Personen ausgeführt wurden. Es scheint mir, dass man Gegenwehr inszenieren bzw. provozieren wollte. Das ist mein persönlicher Eindruck. Es gibt Hinweise, dass sogenannte Agents Provocateurs eingesetzt waren. Es wurde beobachtet, dass Gruppen von solchen Leuten in Fahrzeuge eingestiegen sind, die Zivilfahrzeuge der Polizei gewesen sein könnten. Da gibt es inzwischen zahlreiche Hinweise, Berichte und Video-Dokumentationen, die jetzt ausgewertet werden.

Die übergroße Mehrzahl der Demonstranten besteht aber nach wie vor aus friedlichen Menschen, die Gewalt ablehnen, obwohl sie langsam ungeduldig werden. Es macht den Eindruck, das politische Establishment ist nicht darüber erfreut, dass wir nicht in die Gewalt gehen, denn das ist es, was sie unbedingt brauchen und wollen. Sie wollen uns Maßnahmen-Kritiker ja als gewalttätige Szene diskreditieren, um dann damit weitere Gewaltmaßnahmen gegen uns rechtfertigen zu können.

Die „Beregnung“ mit dem Wasserwerfer am 18.11.2020 ließ sich kaum rechtfertigen. Bekommen sie gewalttätige Bilder geliefert, schaut das anders aus. Meinst Du das?

Ja. Es ist natürlich schlecht, wenn ein System aggressiv gegen Demonstranten vorgeht, die friedfertig auf der Straße tanzen. Wie will man dann die Gewalt rechtfertigen? Also muss man Gewalt auf Seiten der Demonstranten provozieren, um staatliche Gewalt begründen zu können. Aber Gott sei Dank sind die Menschen in Berlin wieder so friedlich gewesen und geblieben. Ich hoffe, dass das auch so bleibt.

Zur Situation im Tierpark, die Deine Begleitung und Du letztlich deeskaliert haben: Gehst Du davon aus, dass das absichtlich herbeigeführt wurde?

Inzwischen ja.

Wieso?

Es gibt verschiedene Hinweise und Aussagen von Menschen, die an der Szene beteiligt waren und die sich bei mir als Zeugen gemeldet haben. Eine Ärztin hat berichtet, dass sie sah, dass ein Mann mittleren Alters, der versucht hat, sich abzuwenden und wegzukommen, von Polizisten zu Boden gestoßen wurde. Sie konnte nicht sagen, ob es vorher einen anderen Anlass gab, aber der Mann wurde von mehreren Polizisten massiv zu Boden gestoßen, mehrere Polizisten lagen quasi auf ihm drauf, und die Ärztin sagte wörtlich, „ich hatte in dem Moment Angst um sein Leben“. Es gibt auch ein Video, das zeigt, wie ein älterer Mann einen Polizisten von dem am Boden liegenden Mann wegreißen wollte. Dann kam Tränengas zum Einsatz, auch die Ärztin hat etwas abbekommen. Das soll der Auslöser für die darauffolgende Einkesselung bzw. Bedrängung der Polizisten gewesen sein. Das heißt, die Eskalation auf Seiten der Demonstranten wurde zumindest durch Aggression seitens der Polizei verursacht.

Hättet ihr nicht eingegriffen, wäre es gefährlich geworden?

Vermutlich ja. Treibt man Menschen mit Waffen in die Enge, kann es durchaus mal dazu kommen, dass jemand die Nerven verliert, seine Waffe zieht und in der Hektik der erste Schuss fällt. Diese jungen Kollegen, die teilweise sehr wenig Rechtskunde haben und kaum über Berufs- und Lebenserfahrung verfügen, sind ein hoher Risikofaktor. Sie verfügen einfach nicht über die Gelassenheit ihrer erfahreneren Kollegen und lassen sich eventuell leichter verleiten, aufgrund ihrer eigenen Gefährdung in Gewalt zu gehen. Schusswaffeneinsatz gegen Menschenmengen ist die höchste Schwelle, die es im Bereich der rechtlichen Zulässigkeit des Waffengebrauches gibt. Und ich fürchte, da hat nicht mehr viel gefehlt. Es hätte die ersten Toten geben können.

Und das ist gewollt?

Ja. Ich bin überzeugt, die Verantwortlichen wollen ähnliche Bilder haben, wie man sie aus Italien, Frankreich oder Spanien bereits kennt, aus den Nachbarländern, in denen die Menschen nicht so ruhig und besonnen wie bei uns demonstrieren. Deutsche sind ja sehr geordnet in ihrem Widerstand und nicht gewaltbereit. Wir wollen den Wandel friedlich herbeiführen. Den Menschen auf der Straße ist bewusst, dass wir mit Gewalt nicht in eine friedliche Zukunft kommen werden.

Aber weil das so ist, versucht natürlich die Politik, die Polizisten entsprechend zu instruieren und mit falschen Bildern und einem total falschen „Feindbild“ in den Einsatzbefehlen über die Hintergründe und die Teilnehmer der Demonstrationen zu versorgen.

Was meinst Du damit?

Wenn es heißt, „da sind gewaltbereite Reichsbürger auf der Straße“, macht das Bilder in den Köpfen der jungen Beamten. Die rechnen dann mit allem, schließlich sind bereits Polizisten von Reichsbürgern erschossen worden. In den Einsatzbefehlen wird auch immer ein Schwellenwert angegeben, ab wann eingegriffen werden soll. Ist vorgegeben „frühzeitiges Einschreiten bei geringsten Verstößen“, dann heißt das eben keinerlei Toleranz, dann werden auch geringste Verstöße verfolgt, was zu Gewalt und den in meinen Augen gewünschten Bildern führt.

Lässt sich die Gewaltspirale aus Deiner Sicht noch bremsen?

Sie lässt sich bremsen. Wenn die Menschen, die Demonstranten ihre Friedlichkeit nicht verlieren und so viele Menschen vor den Polizisten stehen, dass diese ihre Ausweglosigkeit erkennen, bleibt es friedlich. Es müssen aber wirklich viele sein.

Für Pfingsten in Berlin wird ja massiv mobilisiert. Wenn für jeden Polizisten 1.000 Demonstranten in Berlin auf der Straße stehen, ist Gewaltfreiheit sichergestellt. Dann haben auch Provokateure keine Chance. Wir müssen Millionen werden und das idealerweise jeden Tag. Es muss unser Ziel sein, viele Menschen mitzunehmen, sie aus der Angst zu holen, ihnen die Augen zu öffnen, was gerade passiert. Die Übergriffe des Staates gegen Juristen, Ärzte, Polizisten und jetzt ganz aktuell sogar gegen einen Richter haben jede rote Linie überschritten. Geht der Staat gegen unabhängige Richter vor, ist er nicht mehr zu bremsen. Der Widerstand gegen diese Maßnahmen muss breit, lautstark und friedlich sein.

Darauf arbeiten wir alle hin. Wir sehen uns zu Pfingsten in Berlin!

 

Erschienen bei Nachdenkseiten

Ebenfalls erschienen in der Frischen Sicht
https://www.frischesicht.de/ein-plaedoyer-fuer-gewaltfreiheit/

 

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