04.09.2020

Von Andrea Drescher

LIHOP oder MIHOP? Der 29.8. in Berlin – (M)ein persönlicher Kommentar

 

Als mich eine Freundin Mitte August bat, für sie einen Bericht über das Demo-Wochenende am 29.8. in Berlin zu verfassen, war mir bewusst, dass dies nicht einfach sein würde. Schließlich war ich als Aktive von Truck 4 Teil des Geschehens, was eine neutrale Sicht sehr erschwert. Jetzt – im Nachhinein – weiß ich, dass es unmöglich ist, einen neutralen Bericht zu verfassen. Dafür bin ich viel zu traurig und zu wütend über das, was an diesen Tagen in Berlin geschah. Wütend über die Fallen, die uns gestellt wurden, traurig darüber, dass ich den Rechtsstaat, an den ich zeit meines politischen Lebens geglaubt habe, endgültig begraben muss. Was ist ein Rechtsstaat wert, in dem die Judikative zwar funktioniert, die Exekutive sich aber willkürlich über Gerichtsurteile hinweg setzt?

 

Falle #1 – Die Rechtsstaatfalle – eindeutig MIHOP

Nachdem der Demo-Zug in der Nacht noch vom OLG genehmigt wurde, war ich glücklich. Glücklich, dass die Judikative im deutschen Staat offensichtlich noch funktionierte und das Versammlungsrecht eben nicht mit fadenscheinigen Begründungen untergraben wird. Was aber dann auf der Straße passierte, zeigt mehr als deutlich, dass es den Rechtsstaat eben nicht mehr gibt.

Morgens um 9.00 Uhr standen wir alle noch entspannt an unseren LKWs. Letzte Vorbereitungen, damit der große Demo-Umzug starten kann, nach und nach sammelten sich Menschen, auch viele mit denen ich mich gezielt an unserem Truck 4 – Netzwerk Impfentscheid / Kündigt Ramstein Air Base – verabredet hatte. Es war ein großes Hallo – ein bißchen von Familientreffen – und wir freuten uns alle, dass es bald losgehen würde. Als es hätte losgehen sollen, war es zwar schon ein bißchen eng, aber man konnte immer noch die von der Versammlungsbehörde geforderten Mindestabstände einhalten. Nur … der Demo-Zug durfte nicht starten, was dazu führte, dass mehr und mehr Menschen von hinten nachdrängten und es immer enger wurde.

Die Begründung war perfide. Der Start wurde verweigert, weil man die Abstände nicht einhalten würde. Wir haben also vom LKW immer wieder gebeten, auf Abstände zu achten, herum zu gehen, in die Seitenstrassen auszuweichen. Was die Menschen rund um unseren Truck auch mehrheitlich taten. Wir waren alle bemüht, die Spielregeln einzuhalten, um nach Start des Umzugs eine Entzerrung zu erreichen. Leider wurden aber auch die Seitenstrassen abgesperrt, so dass ein Ausweichen kaum mehr möglich war und immer mehr Menschen nachrückten.

Als nächstes kam die Forderung der Polizei, man müsse aufgrund der Enge jetzt einen Mund-Nasen-Schutz aufsetzen. Ich war sehr positiv überrascht, wie viele der Menschen sich überzeugen ließen, auch diese Schikane umzusetzen, nur um unser gemeinsames Ziel – den Start – nicht zu gefährden. Nur sehr wenige weigerten sich – die geforderten 80% haben wir sicher erreicht.

Der Rechtsbruch der Polizei hätte nicht deutlicher sein können, als der Moment als wir dann alle Masken aufhatten, loslaufen wollten und das dann aufgrund des Nichteinhaltens der Abstandsregel trotzdem nicht durften. Nachdem sie uns eingekesselt hatten und vorne die Wasserwerfer schon bereit standen, demonstrierten sie auf perfide Art und Weise ihre Macht. Mich beschlich ein ungutes Gefühl – in meiner Jugend waren Polizeikessel nicht gerade angenehm verlaufen ….

Dass es seitens der Demonstranten nicht zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung kam, schreibe ich nur dem außerordentlich friedlichen Verhalten der eingekesselten Menschen zu, die sich nicht haben provozieren lassen. Wir haben alte Lieder gesungen – Halleluja und We shall overcome – viele haben sich hingesetzt – mit ihren Kindern und Enkeln. Wir waren ein friedlicher Trupp und die meisten von uns erfahren genug um zu wissen, dass es um jeden Preis friedlich bleiben musste.

Dass es seitens der Polizei nicht gewalttätig wurde, verdanken wir – meiner Meinung nach – den zahlreichen Kameras, die per Livestream alles übertrugen. Auf Kinder, alte Frauen oder Männer und die vielen „Blumenkinder“ einzuschlagen bzw. mit Wasserwerfern drauf zu fahren, ist in Zeiten des Internets medial höchst gefährlich. Diesen medialen Schutz hätte ich mir früher bei den Anti-AKW-Demos auch gewünscht. Wie die Polizei eingestellt war und vorgeht, wenn nicht mehr so viele Kameras vor Ort sind, belegt die Dokumentation von Boris Reitschuster ja mehr als deutlich.

Es wurde per Video dokumentiert, wie sie bei einem LKW die Scheibe eingeschlagen haben – das wird hoffentlich Folgen haben. Gleiches wurde auch unserem LKW-fahrer angedroht, falls dieser sein Fahrzeug bewegen würde. Und das bei einer genehmigten Demonstration!

Make it happen on purpose – ein eindeutiger MIHOP! Wer so naiv wie ich noch an den Rechtsstaat geglaubt hat, ist mitten `rein in die Rechtsstaatfalle gerannt. Aber das war nicht die einzige Falle, die an diesem Tag aufgestellt war.

Falle #2 – Die Reichstagsfalle

Schon frühzeitig war im Internet erkennbar, dass es am Reichstag und vor den Botschaften etwas weniger friedlich zugehen würde. Unsere „Freunde“ von staatenlos-info und andere hatten dort ebenfalls Demonstrationen angemeldet. Das war Anlass für mich, am 26.8. den „Linzer Bus-Teilnehmern“ folgendes zu schreiben:

„Ziemlich sicher ist, dass die Demos am Reichstag und vor den Botschaften USA und Russland nicht von Querdenken bzw. Nichtohneuns kommen. Da kann es etwas ruppiger zugehen. Das sollte man wissen. In D wird auch von Rechtsaußen für die Demos geworben. Auch die NPD mobilisiert. Auch das sollte man wissen. In diesem Umfeld kann es dann ebenfalls ruppiger werden.“

Da im Bus ziemlich viele „Demo-Neulinge“ saßen, war es mir ein Anliegen, sie vor absehbaren Fallen zu schützen. Nicht jeder ist so gut vernetzt wie ich, dass er das mitbekommt. Ich gehe aber ziemlich sicher davon aus, dass der Verfassungschutz mindestens so gute Informationsquellen hat wie Lieschen Müller und ich aus dem österreichischen Wald. Den politisch Verantwortlichen musste klar sein, dass sich dort etwas zusammenbrauen würde. Und das kam ihnen wohl sehr recht, um die Bilder eine „rechten Demo“ in die Welt strahlen zu können.

Die Fakten, die mir bekannt sind:

Die Demo vor dem Reichstag wurde genehmigt, die Bühne von Organisatoren aus dem klassisch rechten Umfeld problemlos aufgebaut und die Demonstranten mit schwarz-weiss-roten Kaiser-Fahnen konnten sich hervorragend sammeln. Das Bild des rückwärtsgerichteten Fahnenmeers sah man anschließend in fast jeder Tageszeitung.

Der massive Polizeischutz wurde in diesem Bereich frühzeitig abgezogen, direkt vor dem Reichstag standen nur noch drei Polizisten. Der Rest war irgendwo in der Nähe, konnte dann aber schnell herangezogen werden. Bei der Querdenken-Demo wurde an mehreren Stellen aufgefordert, zum Reichstag zu kommen, da sei richtig etwas los. Irgendwer streute die Information bzgl. der Anwesenheit von Donald Trump in Berlin, und eine – Entschuldigung – nützliche Idiotin nutzte die Gelegenheit, zum „Sturm auf den Reichstag“ zu blasen. Und einige hundert andere Demonstranten folgten ihr – und lieferten damit genau die Bilder, auf die der Staat gehofft hatte. Was man aber anhand der Videos, die im Anschluß nach und nach auftauchten, erkennt: wirklich gewalttätig war dieser „Sturm“ nicht. Die meisten der „Stürmenden“ waren wohl „stolz“, auf der Treppe zu stehen und ein Selfie zu machen. Gewalt sieht anders aus.

Die Medien haben genau die Bilder, die sie wollten, um alle Demonstranten als gefährliche Nazis zu brandmarken. Der Staat hat genau die gewünschte Begründung für neue polizeistaatliche Maßnahmen.

Der Konsument der Mainstream-Medien kann gar nicht anders als verschärfenden Maßnahmen zuzustimmen. Denn wer weiß schon, dass es unterschiedliche Demos von unterschiedlichen Veranstaltern waren, die von den Behörden völlig unterschiedlich behandelt wurden. Diese Kleinigkeit wird von den Mainstream-Medien unter den Tisch fallengelassen – Stichwort Lückenpresse.

Zur Erinnerung: Die Querdenken-Demo wurde polizeilich verboten – und musste gerichtlich über zwei Instanzen durchgesetzt werden. Der Umzug fand – aufgrund des massiven Polizeieinsatzes -dann aber nicht statt. Die Reichstags-Demo wurde genehmigt, der Polizeischutz auf drei Polizisten reduziert.

Lieschen Müller und ich nennen das „die Reichstagsfalle“ . Ob es sich dabei um einen LIHOP oder MIHOP („let it happen on purpose" oder "make it happen on purpose“) handelt, macht für mich keinen Unterschied mehr.

Mein Resüme

Nachdem der Demo-Umzug in der Friedrichsstraße endgültig beendet und wir gezwungen waren, unseren LKW transportfähig zurückzubauen, ging ich Richtung 17. Juni – großer Stern, um zu sehen, was sich auf der Hauptbühne tut. Und war zunächst völlig überrascht, dass dort alles planmäßig zu verlaufen schien.

Man ließ mich nicht mehr nach vorne – und obwohl ich eigentlich für den Presse-Bereich akkreditiert war, gab ich auf. Meine „journalistische Neutralität“ war ja Illusion. Dass die Veranstaltung rund um die Siegessäule dermaßen ungestört stattfinden konnte, schreibe ich nicht nur – aber auch – dem ungeheuer disziplinierten Verhalten der Besucher zu. Jeder und jede war bemüht, irgendwie die Abstände einzuhalten.

Ich bin persönlich aber davon überzeugt, dass die Veranstalter es dem Auftritt von Robert Kennedy jr. zu verdanken haben, dass die Kundgebung stattfinden durfte. Dem Neffen von John F. Kennedy in Berlin die Bühne zu verwehren, hätte vermutlich ein Bild auf die Verantwortlichen geworfen, das mindestens so peinlich geworden wäre wie die Gewalt gegen harmlose Demonstranten und Demonstrantinnen – wie Rentner, Kinder, Rollifahrer - , die aufgrund der überall vorhandenen Kameras ja auch nur vergleichsweise selten ausfiel. Diese beiden Schutzfaktoren haben aus meiner Sicht das Schlimmste verhindert.

Das wird vermutlich nicht meine letzte Demo in Berlin gewesen sein. Am 1.8. war der Umzug möglich, die Kundgebung wurde abgebrochen. Am 29.8. wurde der Umzug unterbunden, die Kundgebung fand statt. Ich bin nicht sicher, wie es beim nächsten Mal ausgehen wird. Wird beides verboten, merken es dann auch völlig unpolitischen Menschen, wie es um unsere Demokratie und Rechtsstaat bestellt ist. Wird beides erlaubt, wäre das aus meiner Sicht ein Zeichen, dass ein friedlicher Wandel doch noch möglich ist. Ich kann daran zwar nicht mehr glauben, hoffe aber wie so oft, Unrecht zu haben.



 

Erschienen bei Manova

Ebenfalls erschienen in
Neue Rheinische Zeitung

 

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