13.04.2021

Von Andrea Drescher

Von der Systemkritik zum Systemerhalt – die Entwicklung der Grünen in Österreich auf den Punkt gebracht

 

Werte, für die die Grüne Partei in Österreich einstmals angetreten ist, sind nicht erst seit Corona ad acta gelegt. Schon mit zunehmender Teilnahme am politischen Machtsystem zeichnete sich ab, dass diese Werte de facto obsolet sind.

 

Der früherer Bezirkssprecher Wilfried Kraft kann ein Lied davon singen. Ihm wurde über Nacht das offizielle grüne Mailkonto bei den Grünen gesperrt, er erhielt eine dreizeilige E-Mail, in der ihm mitgeteilt wurde, dass seine Mitgliedschaft beendet sei – frei von jeder Begründung, jeder Unterschrift. Verantwortlich scheint dafür niemand sein zu wollen. Auch die von ihm dann im Nachgang angeforderte Begründung, insbesondere in Bezug auf die Regelung des Parteiausschlusses gemäß der Statuten, führte zu keiner wirklich befriedigenden Antwort. Basisdemokratische Werte scheinen bei den oberösterreichischen Grünen, wenn nicht bei der gesamten österreichischen Grünen Partei, nicht mehr von Bedeutung zu sein.

Im Interview erzählt er, wie es dazu kam und wie sich die Partei in seinen Augen in den letzten Monaten bzw. Jahren entwickelt hat.

Wie lange und in welcher Form waren Sie bei den Grünen aktiv?

Bei der letzten Wahl in Oberösterreich haben wir in Wallern 2015 eine Gemeindegruppe der Grünen gegründet und sind mit über 10% der Stimmen gleich mit drei Mandaten eingezogen. Ca. zwei Monate später wurde ich Bezirkssprecher für den Bezirk Grieskirchen, einem der Bezirke mit den meisten Gemeindegruppen. Es waren 17 Gruppen, und da habe ich mich sehr engagiert. Als Bezirkssprecher ist man Verbindungsglied zwischen Landespartei und Gemeindegruppen vor Ort. Ich habe mich um den Aufbau der Gruppen und deren Vernetzung gekümmert. Auch in Wallern konnten wir einige Erfolge feiern.

Was für Erfolge denn?

Für mich ist Bodenverbrauch beispielsweise ein wichtiges grünes Thema. In unserer 3000 Einwohner-Gemeinde sollte ein vierter Supermarkt gebaut werden. Wir haben eine Volksbefragung initiiert, die den Wunsch der Menschen abfragte, nachdem wir im Gemeinderat immer überstimmt wurden. Dank unserer Aktionen stimmte eine Mehrheit gegen diesen vierten Markt. Das wurde zwar vom Gemeinderat und Bürgermeister zunächst auch ignoriert, aber aufgrund der klaren Stimmung in der Bevölkerung hat das Land dann für die Natur entschieden. Mit ein paar Stimmen im Gemeinderat dreht man wenig um. Was uns half, war der Druck aus der Bevölkerung – das zeigt, wie wichtig das Engagement der Basis ist. Aber das ist bei den Grünen nicht mehr spürbar.

Inwiefern?

Jetzt, 2021, gibt es wieder neue Wahlen. In Oberösterreich werden Gemeinderat und Landtag gewählt, aber in meinen Augen sind grüne Werte sind nicht mehr spürbar. Man hat sich zu einer komplett etablierten Partei im Machtapparat entwickelt, die im Parteiensystem aufgegangen ist – und das auf allen Ebenen der Partei.

Woran machen Sie das fest?

Mit Beginn der Pandemie wurden die Funktionäre autoritär, nicht diskursbereit, nicht kritikfähig. Die eigentlichen grünen Werte – insbesondere der Gedanke von Basisdemokratie – wurde mit der Pandemie abgeschafft. Ich habe ein Jahr lang versucht, intern sachlich inhaltlich mit Argumenten zu diskutieren, musste aber die Erfahrung machen, dass mit Funktionären und Mandatsträgern auf oberen Ebenen kein sachlich-inhaltlicher Diskurs möglich war.

Wie und mit wem haben Sie versucht, diese Diskussionen zu führen?

Auf Bundes- und Landesebene mit den verschiedensten Menschen. Zum einen per E-Mail, zum anderen über unseren internen Facebook-Stammtisch der Grünen OÖ. Da sind rund 250 Mitglieder aktiv, darunter auch Ministeriumsmitarbeiter, auch die Kabinettschefin von Anschober ist mit dabei. Auch habe ich viele e-Mails an ca. 200 Grüne-Vertreter in Österreich geschickt. Das war noch vor dem Sommer, als die Plattform Respekt gegründet wurde, der sich zahlreiche Urgesteine aus dem grün/alternativen Bereich Österreichs wie Hermann Knoflacher, Mathilde Halla und Peter Weish und andere angeschlossen haben.

Das waren Aktivisten, die kannte man aus Zwentendorf und Hainburg – also aus der Naturschutz- und Anti-Atombewegung. Ich rief dazu auf, endlich auch die andere Seite zu Wort kommen zu lassen. Die Kritiker der Maßnahmen und Vorgänge sind schließlich keine (Cov)Idioten, sondern gebildete Menschen, Ärzte, Anwälte und Wissenschaftler aus dem links/grünen-alternativen Bereich der letzten Jahrzehnte. Aber es gab nur wenige Rückmeldungen seitens der Empfänger. Diejenigen, die reagierten, waren aber überwiegend positiv.

Wie ging es dann weiter?

Ich habe den Entschluss gefasst, im Herbst den Posten als Bezirkssprecher zurückzugeben, ich wollte aber vorher noch mit dem Landessprecher Stefan Kaineder sowie Ursula Roschger persönlich reden. Ich wollte persönlich im 6-Augengespräch hören, dass sie das richtig finden, was passiert. Aufgrund meiner Mails und ihrer Teilnahme am Stammtisch verfügten sie ja über die Informationen. Das Gespräch verlief so, dass mir klargemacht wurde, das Entscheidungen in Wien nicht von der Landespartei hinterfragt werden. Man habe vollstes Vertrauen in diese Entscheidungen – und das bei den weitreichendsten Entscheidungen seit 1945. Das sollte man doch offener diskutieren, doch das war bzw. ist nicht gewünscht.

Gibt es auch an der Basis keine Kritik?

Es gibt in der Basis kritische Stimmen, die trauen sich aber vielfach nicht, ihre Kritik laut zu äußern, sie haben Angst sich zu exponieren. Darüber hinaus wurden die Strukturen bereits 2018 umgebaut, so dass die Basis deutlich weniger Bedeutung hat. Die Statutenänderung seit der Landesversammlung am 10.11. zog damals schon eher scharfe Kritik nach sich. Bereits da waren Parteimitglieder der Meinung, dass es keine Basisdemokratie mehr gibt. Das sehe ich heute ähnlich. Außerdem wurden nach und nach andere wichtige grüne Themen aufgegeben.

Welche denn?

Während bis vor zwei Jahren Kritik am 5G Ausbau auch vonseiten der Grünen kam, scheint heute die Turbodigitalisierung von jungen Grünen sogar gewünscht zu werden. Der Gesundheitsminister Anschober hat auf EU-Ebene eine Stellungnahme zum 5G-Ausbau abgegeben und in der Stellungnahme mit der Expertise einer Institution argumentiert, die wir zwei Jahre vorher kritisiert hatten, weil sie offensichtlich Gefälligkeitsgutachten erstellt hatte. Einige Rechte wurden per Gesetz zugunsten des Mobilfunkausbaus ausgehebelt, so dass Sendemasten deutlich leichter aufgestellt werden können. Auch der dramatische Energieverbrauch der Digitalisierung wird von den Grünen nicht adressiert.

Früher war der Gesundheitsminister auch Anhänger der Gentechnik-Freiheit. Wir wollten gentechnisch verändertes Gemüse weder auf dem Teller noch auf dem Acker. Dass es jetzt durch die mRNA-Impfungen zu Manipulationen an der Erbsubstanz kommen kann, scheint niemanden zu stören. Mich stört das allerdings immer noch. Ich musste Konsequenzen ziehen, besonders da ich feststellen musste, wie wenige bereit waren, sich bei diesem Thema auf die Füße zu stellen.

Sie sind dann von Ihrem Amt zurückgetreten?

Ja. Nach dem Gespräch in Linz im September habe ich im Oktober ohne großes Aufhebens die Funktion niedergelegt. Ich hatte keine Intention zu schaden und habe für eine friedliche Übergabe der Aufgaben gesorgt. Das wurde mir aber nicht gedankt. Im Dezember 2020 bin ich aus dem FB-Stammtisch `rausgeschmissen worden und im März 2021 dann ohne jede Ankündigung und Kontaktaufnahme aus der Partei.

Wie ist das denn passiert?

Ende März 2021 wolle ich mein eMail-Konto öffnen und kam nicht `rein. Ich dachte an ein technisches Problem und rief im Linz im Landesbüro an. Im Support war keiner erreichbar, es gab auch keine Rückrufe der Kollegen, die angeblich im Home-Office arbeiteten. Am nächsten Tag habe ich versucht, die Bezirksgeschäftsführerin in meiner Gruppe in Wallern zu erreichen, aber auch das klappte nicht. Wieder einen Tag später kam ihr Rückruf zu einem Zeitpunkt, an dem ich nicht ans Telefon konnte – und nachmittags fand ich dann den Brief im Briefkasten, in dem mir mitgeteilt wurde, dass die Landesleitung der Grünen OÖ sich entschlossen habe, meine Mitgliedschaft zu beenden. Es war ein Dreizeiler, ohne Begründung und ohne Unterschrift. Da war mir dann klar, warum mein eMail-konto nicht mehr funktioniert.

Ist so etwas denn überhaupt formal korrekt?

In meinen Augen nicht. Laut Statuten muss man sich schwerwiegend parteischädigend verhalten. Ich wüsste nicht, in welcher Hinsicht mein Verhalten parteischädigend gewesen sein soll, zumal es ja nicht ein einziges klärendes Gespräch vorher gab und man völlig auf eine Begründung verzichtete.

Die Entscheidung der Landesleitung wurde dem Landesvorstand vorgelegt zur Bestätigung, was auch problemlos „durchging“. Ich hatte keine Möglichkeit, mich gegenüber einem Gremium zu rechtfertigen, weil ich ja keine offizielle Begründung erhielt.

Haben Sie inoffiziell etwas erfahren?

Aus internen Quellen habe ich gehört, dass meine Rede auf einer Demo in Linz Stein des Anstoßes gewesen sei. Dabei habe ich kein Wort über die Grünen oder den Gesundheitsminister verloren, habe mich nicht als Grüner geoutet, sondern mich nur mit „Wilfried, Gemeinderat in einer Landgemeinde in Oberösterreich“ vorgestellt.

Von anderer Seite hieß es, dass man mich `rausgeworfen habe, weil ich Busfahrten zu Demonstrationen nach Wien organisiert hätte. Das stimmt nicht mal – ich war nur selbst mehrfach dort, um mir einen eigenen Eindruck zu verschaffen. Ich sah sehr viele von der bürgerlichen Mitte und habe viele Linke und Ex-Grüne, aber auch jüdische Mitbürger getroffen.

Dann habe ich gehört, dass bei der Landesvorstandssitzung, als der Parteiausschluss thematisiert wurde, verschiedene Unwahrheiten über mich verbreitet wurden. Kurz vor der Sitzung habe ich per Mail noch einen Rechtfertigungsversuch unternommen und eine Begründung bzw. die Einberufung eines Schiedsgerichtes gefordert.

Am 29.3. kam dann per Post der nächste – nicht unterschriebene – Dreizeiler. Ich hätte mich politisch in eine andere Richtung entwickelt. Das war es, nichts Greifbares. Es gab seitens anderer Grüner wohl Anrufe und Beschwerden zu diesem Vorgehen, das einer basisdemokratischen, solidarischen Partei überhaupt nicht entspricht. Aber die Rückmeldungen zeigen, dass man seitens der Landesleitung in Linz nicht wirklich interessiert ist, hier eine sachliche Klärung herbeizuführen.

Warum haben sich die Grünen Ihrer Meinung nach so entwickelt?

Die wurden meines Erachtens durch neoliberalen Lobbyismus infiltriert. Auch der Gewöhnungseffekt der Macht tritt nach einer Zeit auf. Ist man nicht mehr mit der Basis verbunden, genießt man die Möglichkeiten der Macht. Die EU hat dem Lobbyismus darüber hinaus noch Tür und Tor geöffnet. „The Green New Deal“ mit Wirtschaftswachstum und Konsum passt nicht zu grünen Werten. Das System ist so perfide aufgebaut. Das Greenwashing hat zugenommen, die wirklichen Probleme werden ignoriert.

Was haben Sie jetzt vor?

Ich wurde im Herbst von der Regionalpresse gefragt, warum ich mein Amt als Bezirkssprecher niedergelegt habe. Diese Anfragen habe ich immer abgewiesen, weil ich die Situation nicht eskalieren wollte. Jetzt werde ich Interview-Anfragen und Gespräche wie mit Ihnen nicht mehr ablehnen. Mit ihrer Vorgangsweise hat die Landesleitung jetzt erreicht, was sie nicht wollte: Aufsehen.

Ob und wie ich parteipolitisch weitermache, weiß ich noch nicht. Das Pandemie-Thema hat die Gemeindegruppe in Wallern gespalten. Es gibt Überlegungen, eine Bürgerliste aufzustellen und sich damit parteiunabhängig breit aufzustellen. Dann gibt es ja auch die drei neuen Parteien, „Die Basis“, „Die Direkte“ und die „MFG“. Mal sehen. Wir haben ja bis Juni Zeit mit der Einreichung. Ich werde mich aber sicher auch zukünftig für wichtige Themen wie Umweltschutz und auch die Gesundheit der Menschen engagieren. Man muss nur an den richtigen Stellen ansetzen.

Wie meinen Sie das?

Kein Mensch bestreitet, dass es Umweltverschmutzung gibt. Aber sind CO2-Zertifikate und -steuern eine Lösung? Natürlich gibt es Erkrankungen durch den Virus – aber auch hier kommt es darauf an, wie man das Problem behandelt. Kinder mit gesundheitsschädigenden FFP2 Masken in die Schule zu schicken, ist definitiv keine richtige Lösung.

Umweltschutz und Pandemiebekämpfung gleichen sich – beide werden von der Politik instrumentalisiert und zu einem Geschäft gemacht zu Lasten des Gemeinwohls. In den letzten 12 Monaten hat sich das Vermögen der Superreichen um 58% erhöht. Die Ursachen – und damit die Lösungen – der Probleme liegen woanders. Da muss man ansetzen!

Dabei wünsche ich Ihnen viel Erfolg!

 

Erschienen bei TKP

 

Zum Überblick Publikationen  

 


Ich möchte informiert werden, wenn's was Neues gibt:

Meine E-Mail-Adresse: