30.01.2018

Von Andrea Drescher

Antisemitismus 2.0 oder: Darf man Israel kritisieren?

 

Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Art. 3,1 GG ist eindeutig. Dass Menschen aufgrund ihres jüdischen Glaubens in Deutschland immer noch Nachteile erfahren, ist eine traurige Realität. Derartigem Antisemitismus ist unbedingt entgegenzutreten.

 

Die Definition von „Antisemitismus“ wurde im September 2017 vom Bundeskabinett in Deutschland ergänzt, sodass bereits Kritik an Israel als Antisemitismus gedeutet und mit Haftstrafen geahndet werden kann. Laut FAZi gilt jetzt: „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.“

In Deutschland hat sich die Gleichsetzung der Begriffe Antisemitismus und Antizionismus bereits seit Jahren erfolgreich in den Massenmedien und damit in den Köpfen der Menschen etabliert. So stand 2008 beispielsweise in der FAZii: „Da nach dem Holocaust offener Antisemitismus kurzfristig nicht mehr opportun war, versteckt er sich heute hinter der Maske des Antizionismus.“ Und der Spiegel titelte im gleichen Jahriii: „Gysi geißelt linken Antizionismus“ und berichtete über die „Kehrtwende bei den Linken: Fraktionschef Gysi stimmt neue Töne gegenüber Israel an. Statt einseitiger Bekenntnisse zum ‚Befreiungskampf des palästinensischen Volkes‘ fordert er jetzt in einer Rede ‚Solidarität mit Israel‘ – und warnt vor linkem Antizionismus.“

Noch direkter kann man es im November 2014 in der Weltiv lesen: „Dabei müsste doch dem begriffsstutzigsten Beobachter antisemitischer Obsessionen inzwischen aufgefallen sein, dass sich diese heute fast durchgängig mit dem ansehnlicheren Etikett des ‚Antizionismus‘“ und der ‚“Israelkritik‘“ versehen.“ Und 2016 liest man in der Zeitv unter der Headline „Antisemitismus zwischen den Zeilen“: „Israel darf kritisiert werden. Aber in der Berichterstattung vieler Medien findet sich eine unterschwellige Judenfeindlichkeit. Besonders oft bei der ‚Süddeutschen Zeitung‘.“

Zunehmend fällt damit jegliche Israel-Kritik der Antisemitismus-Keule zum Opfer. Jeder, der den aus der zionistischen Bewegung entstandenen Staat Israel und seine Handlungen kritisiert, lässt sich damit schnell mit dem Totschlagargument „Antisemit“ diffamieren. In Deutschland – historisch bedingt – ein No-Go, welches dazu führt, dass die Kritik an Israel eher verhalten, wenn nicht gar unhörbar erscheint.

In diesem Artikel soll es nicht um die Recht- oder Unrechtmäßigkeit der Staatsgründung Israels, die Fragen des Existenzrechts Israels oder die inhaltlichen Kritikpunkte an der israelischen Regierung und deren Besatzungspolitik gehen. Hier dreht es sich um die Frage, ob es zulässig ist, Kritiker Israels pauschal als Antisemiten zu bezeichnen. Zunehmend drängt sich der Eindruck auf, dass „Antisemit“ genauso pauschal zur Diffamierung genutzt wird wie „Verschwörungstheoretiker“, „Nazi“ oder „Querfrontler“.

Wovon sprechen wir? Versuch einer begrifflichen Einordnung

Zunächst einige Begriffsdefinitionen, die wie viele Zitate im Artikel aus der deutschen Wikipedia entnommen wurden, da diese nicht im Verdacht steht, antisemitisch zu sein. Die Definitionen dienen dazu, ein gemeinsames Verständnis für diesen Text zu gewährleisten. Dass Begriffe in anderen Zusammenhängen anders verstanden und genutzt werden, ist bekannt.

Für den Begriff Israel-Kritik fand sich keine Definition in der Wikipedia, was wohl daran liegt, dass auch keine Definition zu den Begriffen „Deutschland-Kritik“ oder „Frankreich-Kritik“ zu finden ist. In diesem Artikel wird der Begriff als Kritik am politischen Handeln der Regierung Israels verstanden.

Als Semiten werden (historische) Völker bezeichnet, die eine semitische Sprache sprechen. Heutige semitischsprachige Völker sind insbesondere Araber, Israelis, Aramäer, Malteser und mehrere Sprachgruppen in Äthiopien/Eritrea. Der Sammelbegriff „Semiten“ als Bezeichnung einer Völkerfamilie gilt inzwischen als ungenau und überholt, insbesondere auch aufgrund seiner Verwendung in rassistischen Kontexten.vi

Theodor Herzl war ein dem Judentum zugehöriger österreichisch-ungarischer Schriftsteller, Publizist und Journalist. 1896 veröffentlichte er das Buch Der Judenstaat. Herzl war der Überzeugung, dass Juden eine Nation seien und deswegen ein jüdischer Staat gegründet werden müsse. Er wurde zu dessen Vordenker, organisierte eine Massenbewegung und bereitete so der Gründung Israels den Weg. Er gilt als Hauptbegründer des politischen Zionismus.vii

Zionismus bezeichnet eine Nationalbewegung und nationalistische Ideologie von Juden, die auf einen jüdischen Nationalstaat in Palästina zielt, diesen bewahren und rechtfertigen will.viii

Als Nakba oder an-Nakba (arabisch), deutsch Katastrophe oder Unglück, ein Begriff, der in den Schulbüchern Israels verboten ist, wird im arabischen Sprachgebrauch die Flucht und Vertreibung von etwa 700.000 arabischen Palästinensern aus dem früheren britischen Mandatsgebiet Palästina bezeichnet, das zu einem Teil am 14. Mai 1948 als Staat Israel seine Unabhängigkeit erlangte.ix

Die Neue Züricher Zeitung schreibt über die Massaker, die an den Palästinensern begangen wurden: „Am Ende des Jahres 1948 waren 750 000 Palästinenser entwurzelt, 531 Dörfer zerstört und 11 städtische Bezirke von ihren arabischen Bewohnern entleert.x

Der Antisemitismus ist eine mit Nationalismus, Sozialdarwinismus und Rassismus begründete Judenfeindlichkeit, die seit Jahrhunderten in Europa auftritt. Für den Nationalsozialismus war der Rassenantisemitismus zentral und führte im vom Deutschen Reich besetzten Europa bis 1945 zum Holocaust.xi

Antizionismus ist ein Sammelbegriff für gegen den Zionismus gerichtete politische Ideologien. Seit der Gründung des Staates Israel 1948 wenden sie sich gegen diesen als jüdischen Staat. Antizionismus wird sowohl säkular wie religiös begründet und findet sich auf dem gesamten Kontinuum des politischen Spektrums. Mitunter bestehen enge Zusammenhänge zur Judenfeindlichkeit.xii

Die letzte Anmerkung in der Wikipedia im Bereich Antizionismus „Mitunter bestehen enge Zusammenhänge zur Judenfeindlichkeit“ führt bei Anhängern Israels zu Aussagen wie: „Antizionismus beinhaltet immer auch Antisemitismus.“ Und da Israel-Kritik in vielen Fällen fast automatisch mit Antizionismus gleichgesetzt wird, ist die Konsequenz – „Israel-Kritik heißt Antisemitismus“ – fast naheliegend. Verständnis für die Lage der Palästinenser oder die Nakba findet man in diesen Kreisen nicht. Kritik wird in den meisten Fällen sofort als antisemitische Hetze abgetan, obwohl das, was den Menschen in Palästina passiert ist, ein historisch belegtes Faktum darstellt. Die Legende des unbesiedelten Landes ist genau das, was das Wort besagt: eine Legende.

Für die Gründerväter Israels waren die rund 1,3 Millionen Araber, die sich 1947 auf dem Gebiet Palästinas befanden, ein Problem.xiii Die Politik der zionistischen Bewegung war von Anfang an – d.h. schon lange vor der Gründung des Staates und noch vor der Shoa – auf Landgewinn ausgerichtet. Das belegt u.a. ein Brief, den Ben Gurion 1937 an seinen Sohn schrieb. Darin machte er deutlich, dass eine Teilung des Landes in ein jüdisches und ein arabisches Gebiet nicht von Dauer sein würde: „My assumption … is that a Jewish state on only one part of the land is not the end but the beginning … This is because this increase in possession is of consequence not only in itself, but because through it we increase our strength, and every increase in strength helps in the possession of the land as a whole. The establishment of a state, even if only on a portion of the land, is the maximal reinforcement of our strength at the present time and a powerful boost to our historical endeavors to liberate the entire country.“xiv

Wer auf derartige Fakten hinweist, wird schnell als Antisemit diskreditiert. Es gibt sie aber trotzdem: Menschen, die nicht nur Verständnis für die Lage der arabischen Einwohner des ehemals britischen Mandatsgebietes aufbringen, sondern sich auch gegen das Unrecht öffentlich aussprechen. Einige von ihnen werden hier vorgestellt. Den wenigsten von ihnen kann man klassischen „Antisemitismus“ vorwerfen. Denn eines verbindet alle im Folgenden genannten Israelkritiker mit deutschem, US-amerikanischem bzw. kanadischem, isländischem, französischem oder israelischem Pass: die jüdischen Wurzeln.

Israelkritischen Juden wird zwar inzwischen ebenfalls Antisemitismus nachgesagt – folgt man den Wikipedia-Definitionen, ist das jedoch eine völlig absurde Aussage. Es gibt zwar – man glaubt es kaum – „jüdische Holocaust-Leugner“, die auch die klassischen antisemitischen Ressentiments bedienen, sie stellen aber eine ausgesprochen kleine Gruppe unter den überzeugten Antizionisten dar. „Self-hating Jews“ ist eine weitere diffamierende Abwertung von Menschen, die sich trotz ihrer jüdischen Wurzeln nicht in die Geiselhaft der israelischen Politik nehmen lassen wollen. Schaut man sich die unterschiedlichen Personen und Persönlichkeiten näher an, wird deutlich, dass es schwer möglich ist, allen ein solches psychologisches Problem zu attestieren. Auch wenn sie – ob ihres unterschiedlichen Grades an Radikalität – mehr oder weniger anerkannt bzw. umstritten sind.

Israel-Kritik aus Israel – Eine (mutige) Minderheit

Der frühere israelische Außenminister Moshe Dayan konnte noch begreifen, warum die Palästinenser sich wehrten. „We came here to a country that was populated by Arabs and we are building here a Hebrew, a Jewish state; instead of the Arab villages, Jewish villages were established. You even do not know the names of those villages, and I do not blame you because these villages no longer exist. There is not a single Jewish settlement that was not established in the place of a former Arab Village.“xv,was man nachlesen oder auf Youtubexvi nachhören kann. Der General blieb seiner Aufgabe treu, aber er wusste noch um den Konflikt und dessen Wurzeln, ohne alle Welt als Antisemiten zu beschimpfen, und führte die Verhandlungen des Landes zum Camp-David-Abkommen.

Der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland und gebürtige Israeli Avi Primor äußerte sich am 21. Mai 2015 in Bremen auch zum Thema „Sympathie der Deutschen für Israel – oder Was heißt Antisemitismus?“, wie man bei den Bremer Linken nachlesen kann. Dabei sagte er u.a., dass „Zwei Drittel der Deutschen ihre Sympathie für Israel in den letzten Jahren verloren haben. Aber warum haben sie sie verloren?“ Seine Antwort: „Natürlich wegen der israelischen Politik, wegen der israelischen Politik in den besetzten Gebieten, gegenüber den Palästinensern, wegen der Besatzung, dem Siedlungsbau und allem, was man aus diesem Bereich hört. … Die Kritik gegen Israel heute ist nicht unbedingt, bei den meisten Kritikern jedenfalls nicht, eine Kritik gegen den Staat Israel, auch nicht eine Kritik gegen das Volk Israel. Es ist eine Kritik gegen eine bestimmte Politik, und die wird verschwinden, sobald diese Politik verschwindet.“xvii

Dass der Begriff Antisemitismus sogar systematisch verwendet wird, um Menschen anzuprangern, die Israel kritisieren, kann man auch von der inzwischen verstorbenen Shulamit Aloni, der früheren israelischen Ministerin für Erziehungsfragen, Knesset-Abgeordneten, Chefin der Meretz-Partei und Menschenrechtsaktivistin erfahren: https://jwa.org/people/aloni-shulamit. Sie wurde 2002 von Democracy Now! durch die jüdisch-US-amerikanische Journalistin Amy Goodman interviewt. Auf deren Frage: „Häufig, wenn Widerspruch in den USA gegen die israelische Regierung geäußert wird, dann werden diese Leute hier antisemitisch genannt. Was ist Ihre Antwort darauf als eine israelische Jüdin?“ antwortete sie: „Nun, das ist ein Trick. Den wenden wir immer an. Wenn jemand aus Europa Israel kritisiert, dann bringen wir ‚den Holocaust‘“ hoch. Wenn Leute in diesem Land (USA) Israel kritisieren, dann sind sie antisemitisch.“xviii

Zu den größten israelischen Kritikern gegen die Politik Israels gehören vor allem auch Veteranen, vielfach im Offiziersrang, die die Organisation Breaking the Silence (Schovrim Schtika) gegründet haben und das Verhalten der israelischen Armee und Regierung anprangern. Dazu kann man in der Wikipedia lesen: „Schovrim Schtika wurde im Februar 2004 von Jehuda Schaul und anderen ehemaligen Soldaten gegründet, um die eigenen Erlebnisse im Besatzungsdienst emotional zu verarbeiten und die israelische wie europäische und amerikanische Öffentlichkeit beispielsweise mit Vorträgen über Aspekte des Besatzungsalltags im Rahmen des Nahostkonflikts aufzuklären. … Inhaltlich geht es um mutmaßliche Übergriffe gegen Zivilisten, aber auch um den Arbeitsalltag der Soldaten, z.B. an den Checkpoints … Laut der Organisation stellen Misshandlungen an Palästinensern, das Plündern sowie die Zerstörung von Eigentum seit Jahren die Norm dar. Das Militär hingegen verweist auf militärische Notwendigkeiten in der Bekämpfung des Terrorismus und vereinzelte Verfehlungen.“xix Dokumentiert werden die Fälle per Foto und Video auf der Homepage der Organisation.xx Aktuell berichtete die Welt über einen Fall, in dem ein ehemaliger IDF-Soldat öffentlich zugegeben hat, einen Palästinenser misshandelt zu haben. Was von seinen Ex-Vorgesetzten, der Regierung und auch der Presse bestritten wurde – bis jedoch offensichtliche Videobeweise auftauchten.xxi

Die NGO B’Tselem wurde 1989 von prominenten Akademikern, Anwälten, Journalisten und Abgeordneten der Knesset gegründet. B’Tselem sieht seine Aufgabe darin, Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten nachzuweisen, die israelische Öffentlichkeit und Gesetzgeber darüber zu informieren, und zu einer humaneren Gesellschaft beizutragen. … Ihr primäres Ziel … ist es jedoch, die israelische Politik in den besetzten Gebieten zu ändern und sicherzustellen, dass Israel die Menschenrechte der dortigen Bevölkerung schützt und seinen Verpflichtungen gegenüber dem internationalen Recht nachkommt.xxii Furore machte die Organisation mit der Veröffentlichung eines Videos in ihrem YouTube-Kanalxxiii, in dem die Tötung (der Mord) an einem Palästinenser durch einen Soldaten der IDF dokumentiert wurde. Obwohl sich Regierung und Militärs hinter den Sanitätssoldaten Elor Azaria stellten, kam es zu einer Verurteilung wegen Totschlags zu 18 Monaten Haft, die dann auf 14 Monate reduziert wurde.xxiv

Zu den bekanntesten regierungskritischen Organisationen zählt Peace Now (Schalom Achschaw), die allerdings in den letzten Jahren an Bedeutung verloren hat und der seitens des rechten israelischen Lagers immer wieder Terrorunterstützung vorgeworfen wird. „In der Folge von Anwar as-Sadats Besuch in Israel im Jahre 1978 verfassten 348 israelische Reservesoldaten im Offiziersrang eine Petition an den damaligen israelischen Ministerpräsidenten Menachem Begin, die ihn dazu drängen sollte, den Friedensprozess weiterzuführen. Diese Petition führte zur Gründung von Schalom Achschaw, einer basisdemokratischen Bewegung, die sich darum bemüht, Unterstützung für den Friedensprozess zu gewinnen. Bekannte Mitglieder sind Jael Dajan, Emil Grünzweig, Schulamith Koenig, Menschenrechtspreisträgerin der Vereinten Nationen, Mira Magén, israelische Schriftstellerin, Avischai Margalit, israelischer Philosoph, sowie der israelische Schriftsteller Amos Oz.xxv Die älteste israelische Bewegung für Frieden durch öffentlichen Druck ruft auf ihrer Webseitexxvi u.a. mit dem Slogan „Support Israel, Fight the Occupation“ auf. Das zeigt deutlich, dass man Israel sowohl unterstützt, als auch die Politik kritisieren kann. Times of Israelxxvii berichtete im Mai 2017, dass zwischen 15.000 und 30.000 Demonstranten an einem Protestmarsch für den Frieden und gegen die nun schon 50 Jahre andauernde Besetzung des Westjordanlandes teilnahmen. Der Generaldirektor von Peace Now, Avi Buskila, „sieht in der siedlungsfreundlichen Politik der letzten 50 Jahre eine Gefahr für unsere Zukunft und den Untergang des zionistischen Traums, während gleichzeitig die Demokratie in Israel unterminiert werde“.

Weniger bekannt ist die 1992 gegründete Friedensinitiative Gusch Schalom, zu deren Gründungsmitgliedern Uri Avnery, Michel Warschawski sowie der 1995 verstorbene frühere israelische stellvertretende Kommandeur der Giv’ati-Brigade 1949, Militärgouverneur des Gaza-Streifens 1956 und Generalquartiermeister der israelischen Armee 1967, Generalmajor a.D. Mattityahu „Matti“ Peled zählen. Wie man ebenfalls der Wikipediaxxviii entnehmen kann, ist es das Hauptziel von Gusch Schalom, die israelische öffentliche Meinung zu beeinflussen und in Richtung von Frieden und Versöhnung mit den Arabern zu führen. … Arafats jahrzehntelange Beteiligung an Terroranschlägen und seine Unterstützung der Zweiten Intifada werden jeweils als direktes Resultat der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern bezeichnet. … Gusch Schalom ist der Ansicht, dass angesichts der israelischen Siedlungspolitik mit immer weiter fortschreitendem Neu- und Ausbau jüdischer Siedlungen auf palästinensischem Gebiet in wenigen Jahrzehnten kein eigenständiges palästinensisches Leben und keine Autonomiebestrebungen der Palästinenser mehr möglich sein werden und dass die USA ebenso wie die EU mit ihren Friedensinitiativen, wie z.B. der Roadmap, die Siedlungspolitik bis dahin nur begleiten, aber nicht verhindern wollten. Israel begehe dadurch einen langsamen Völkermord. (http://www.gush-shalom.org/)

Standing Together ist eine noch junge israelische Bewegung von Juden und Arabern, die das Ziel hat, auf Basis der Prinzipien von Frieden, Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit für sozialen Wandel in Israel zu sorgen. Sie sieht sich als populäre Bewegung, als soziale und politische Graswurzelbewegung, die inklusiv, pluralistisch, aktivistenbasiert, demokratisch und auf Basis sozialistischer Werte agiert. Standing Together organisiert sich über verschiedene Standorte in Israel, derzeit sind es fünf: Negev und der Süden, Jerusalem, Haifa und der Norden, die Region Sharon und Taybey sowie Tel Aviv und das Zentrum. Hinzu kommen drei studentische Gruppen an der Universität Haifa, der Hebräischen Universität in Jerusalem sowie der Ben Gurion Universität im Negev. Diese Gruppen agieren lokal und national, führen Kampagnen durch, versorgen die Bevölkerung mit Informationen und sorgen durch Aktionen für mehr Inklusivität, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit für alle Bürger Israels. 2017/2018 will man Hunderte neue Mitglieder gewinnen und vier neue Gruppen in Israel aufbauen. Das Hauptthema, das die Aktivisten vereint, ist der Frieden und das Ende der Besatzung. Seit zwei Jahren organisiert Standing Together monatliche gemeinsame Friedensdemonstrationen von Israelis und Palästinensern, die laut Jerusalem Post zu den größten gemeinschaftlichen Aktivitäten der vergangenen Jahre zählen.xxix Ihr Motto: „The last day of occupation is the first day of peace“ war 2017 auf zahlreichen Demos in Israel zu sehen.xxx

Woman Wage Peace organisierte 2016 den Marsch der Hoffnung, bei dem 30.000 jüdische und arabische Israelinnen für den Frieden teilnahmen und der weltweit Aufsehen erregte. Bei der Massenkundgebung zum Abschluss des 200 km langen Marsches war die liberianische Friedensnobelpreisträgerin Leymah Roberta Gbowee als Ehrengast dabei. Das offizielle Video „Prayer of the Mother“ von Yael Deckelbaum erreichte auf YouTube inzwischen weit über 4,3 Millionen Aufrufe.xxxi Gegründet wurde Woman Wage Peace 2014 als Antwort auf den Gaza-Krieg. Die Graswurzelbewegung organisierte 2014 die Zugfahrt nach Sderot, an der 1.000 Frauen teilnahmen, ganz in Weiß gekleidet. 2015 forderten 3.000 Frauen rund um die Knesset eine Friedensinitiative. In einem Zelt in der Nähe des Wohnsitzes des Premierministers fasteten Hunderte Frauen 50 Tage lang für den Frieden und wurden dabei von Tausenden unterstützt. Während Pessach 2017, einem der wichtigsten Feste des Judentums, fuhren erneut 1.000 Frauen mit dem Friedenszug nach Beit Shean; anlässlich des Besuchs von Präsident Trump in Israel im Mai 2017 bauten die Frauen ein menschliches Schild: Ready for Peace. Und im Oktober 2017 gab es die Reise nach Frieden; an der zweiwöchigen Reise nahmen Zehntausende Menschen teil.xxxii

Wer sich über die Entwicklung in Israel mit regierungskritischem Blick auf dem Laufenden halten möchte, dem sei ein (Online-)Abonnement von Haaretzxxxiii empfohlen. Insbesondere die Artikel von Gideon Levy, Mitglied des Herausgeberkreises der liberalen Tageszeitung, gehen immer wieder auf das Unrecht gegenüber den Palästinensern ein. „Levy diente ab 1974 in den israelischen Streitkräften als Reporter für den Armeesender Galatz. … Seit 1988 veröffentlicht er die Kolumne Twilight Zone über die Lebensverhältnisse der Palästinenser in den von Israel besetzten Gebieten.“ Seine Haltung zur Okkupation: „Besatzung wird weiterhin schleichend, aber beschleunigt in Annexion übergehen, die rasch zum Apartheid-Staat führen wird; ‚jüdisch‘ schlägt ‚demokratisch‘; Nationalismus und Rassismus werden sich regierungsamtlicher Beglaubigung erfreuen – auch wenn es sie schon seit langem gibt.“xxxiv

Im +972 Magazine präsentieren seit August 2010 jüdische und arabische Blogger, Journalisten und Fotografen ohne Partei- bzw. Organisationszugehörigkeit online Berichte und Analysen aus Israel und Palästina und sprechen sich explizit gegen die Besatzung seitens Israels aus.xxxv Der Name basiert auf der internationalen Telefonvorwahl für Israel und die Palästinensischen Autonomiegebiete. Lisa Goldmann, exemplarisch als eine von zahlreichen dort Aktiven genannt, stammt aus Jaffa und ist inzwischen nach Brooklyn umgezogen. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit dem Mittleren Osten allgemein, Israel und Palästina im Besonderen sowie den bilateralen Beziehungen zwischen den USA und Israel und den jüdischen Gemeinden der USA und Israel. In ihrem Bericht Nabi Saleh is where I lost my Zionism wird deutlich, was die Besatzung für die Menschen in den palästinensischen Gebieten bedeutet: „I also witnessed soldiers deliberately blanketing a small house in tear gas until its occupants, coughing and retching long streams of mucus, were forced to emerge. They were two elderly women, wrinkled and bent over, and a young woman in her twenties. … And then I would go back to Tel Aviv and be told by my friends that I could not have seen what I saw, because ‚our soldiers‘“ do not behave that way. Soon, I had to distance myself from those friends in order to keep my own emotions in check.“xxxvi

Der kanadische Journalist David Sheen, der in Israel lebt, erreichte im November 2014 in Deutschland durch die Klo-Affäre einen größeren Bekanntheitsgrad, als es Gregor Gysi und der Partei der Linken lieb war. Eingeladen zu einer israelkritischen Veranstaltung, ergaben sich in den Räumen des Bundestages Szenen mit Slapstick-Charakter. Max Blumenthal gab RT dazu ein ausführliches Interviewxxxvii, David Sheen präsentierte in der Huffington Post seine Sicht dieser Affäre: „In der vergangenen Woche waren die deutschen Medien voller Artikel, die mich und meinen Kollegen Max Blumenthal der Verbreitung von Judenhass bezichtigt haben. Diese haltlosen Anschuldigungen sind nicht nur diffamierend, sondern stellen auch eine echte Bedrohung für meine Sicherheit dar, da ich in Israel lebe, wo Dissidenten als ‚Zerstörer Israels‘“ gebrandmarkt werden und oft Opfer von Vergewaltigungsdrohungen und gewaltsamen körperlichen Angriffen werden. … Nicht-jüdische Kritiker Israels werden oft beschuldigt, vom Judenhass motiviert zu sein, ob es für diese Beschimpfungen substanzielle Beweise gibt oder nicht. Aber indem sie einen jüdischen Kritiker Israels einladen – oder noch besser, einen jüdisch-israelischen Kritiker Israels –, über israelische Verbrechen zu sprechen, hoffen nicht-jüdische Kritiker Israels darauf, sich selbst vor diesen schädlichen Anschuldigungen zu schützen.“xxxviii Dass Sheen sich auch von persönlichen Bedrohungen und rechtlichen Konsequenzen nicht einschüchtern lässt, kann man den Artikeln seiner Homepagexxxix entnehmen.

Jeff Halper, Friedensaktivist, Nominee für den Friedensnobelpreis 2006 und Gründer des Israelischen Komitees gegen Hauszerstörungen (ICAHD) sollte auf Einladung der Heidelberger Palästina-/Nahost-Initiative in der VHS einen Vortrag halten. Für das Junge Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Heidelberg war das „erschreckend und enttäuschend“, wie sie in einem offenen Brief schreiben. Der Referent sei ein bekannter Vertreter der BDS-Kampagne – BDS steht für Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen – gegen Israel. Diese „richtet sich gegen die israelische Gesellschaft als Ganzes und hat das Ziel, Israels Existenzberechtigung als souveränen Staat infrage zu stellen“, heißt es.xl Dabei liegt Halpers Fokus auf einer friedlichen Konfliktlösung, wie man der Wikipedia entnehmen kann. Der in den USA geborene Professor für Anthropologie arbeitete an den Universitäten von Haifa und Beerscheba, ist einer der Hauptorganisatoren der Initiative Free Gaza und Mitglied des Gründungskomitees des Russell-Tribunals zu Palästina. … 2009 erhielt er zusammen mit Luís Flávio Cappio den „Kant-Weltbürgerpreis“ der Freiburger Kantstiftung für sein „mutiges Eintreten für politisch und sozial marginalisierte Bevölkerungsgruppen“. Halper ist der Autor mehrerer Bücher zum Nahostkonflikt und schreibt und spricht häufig über israelische Politik; dabei konzentriert er sich hauptsächlich auf gewaltfreie Strategien zur Lösung des Konflikts.xli

Der gebürtige Linzer Shlomo Sand ist als Historiker an der Universität Tel Aviv tätig. Er gehört zu den umstrittenen Kritikern Israels, denn seine Auseinandersetzung mit der Geschichte des jüdischen Volkes führte unter Judaisten und Historikern zu heftigen Diskussionen. Im Vorwort seines in Israel und Frankreich erschienenen Buches Die Erfindung des jüdischen Volkes – Israels Gründungsmythos auf dem Prüfstand gibt er an, „dass die Kluft zwischen meinen Forschungsergebnissen und der in Israel und anderswo verbreiteten Geschichtsauffassung erschreckend groß ist“. Dabei habe er nichts anderes gemacht, als von der israelischen zionistischen Geschichtsschreibung schon lange präsentiertes, aber vergessenes Material zu verarbeiten, wobei in seiner Arbeit „nichts wirklich Neues““ erschienen sei. Sand bezeichnet sich weder als Zionist noch Anti-Zionist. Er verglich die Gründung Israels mit einer Vergewaltigung, was aber dessen Existenzrecht nicht in Frage stelle, analog dazu, wie man dies auch dem aus einer Vergewaltigung hervorgegangenen Kind nicht bestreite.xlii

Aus anderen Gründen umstritten ist auch ein in Westfalen gebürtiger Israeli, da er seit 1948 konsequent die Idee des israelisch-palästinensischen Friedens und die Koexistenz zweier Staaten, des Staates Israel und des Staates Palästina, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt vertritt, mitten im Libanonkrieg (1982) die Front überquerte und sich als erster Israeli mit Jassir Arafat traf, nachdem er 1974 die ersten geheimen Kontakte mit der PLO-Führung hergestellt hatte. Auf der Homepage von Uri Avnery (Journalist, Schriftsteller, Friedensaktivist und mehrfach als Parlamentsabgeordneter in der Knesset vertreten)xliii kann man lesen: „DER ZIONISMUS IST ein antisemitischer Glaube. Er war es von Anfang an. Schon der Gründungsvater, Theodor Herzl, ein Wiener Schriftsteller, schrieb einige Stücke mit einem klaren antisemitischen Slang nieder. Für ihn war Zionismus nicht nur eine geographische Transplantation, sondern auch ein Mittel, den verachtenswerten, kommerziellen Juden der Diaspora in ein aufrechtes arbeitsames menschliches Wesen zu verwandeln.“ Interessant ist auch seine Aussage: „Kritik-Verbot an Israel ist antisemitisch. Der israelische Autor Uri Avnery nimmt Günter Grass in Schutz: Es sei antisemitisch, darauf zu bestehen, dass Israel in Deutschland nicht kritisiert werden dürfe.“xliv

Der israelische Friedensaktivist und Publizist Michel Warschawski war jahrelang Vorsitzender der von ihm gegründeten israelisch-palästinensischen Organisation Alternative Information Center.xlv 1982 war er Mitbegründer der Organisation Yesh Gvul („Es gibt eine Grenze“), von 1985 bis 1987 gemeinsam mit Feisal Husseini Sprecher des Committee Against the Iron Fist und seit 1992 ist er Mitglied von Gush Shalom. Warschawski wurde mehrfach wegen Unterstützung palästinensischer Organisationen verhaftet.xlvi 2004 konnte man im DLF noch lesen: „Während in Deutschland die Kritik an der israelischen Politik aus geschichtlichen Gründen immer noch ziemlich heikel ist und sich in die Debatte darüber oft Untertöne schleichen, die mit der Sache nur bedingt zu tun haben, nehmen manche israelische Intellektuelle kein Blatt vor den Mund, wenn sie über die Scharon-Politik urteilen. … Zu den scharfen Kritikern des Scharon Kurses zählt der in Jerusalem lebende und in Frankreich geborene Michel Warschawski. Er diskutiert sowohl in Israel als auch in Frankreich über Geschichte und Zukunft des Judenstaates und den Antisemitismusvorwurf in der Nahost-Debatte.“xlvii

Lizzie Doron stammt aus Tel Aviv. Sie wuchs in einer jiddisch sprechenden Gemeinde auf, in der sich Überlebende der Shoa angesiedelt hatten und dem Viertel mit der Pflanzung zahlreicher Bäume und Büsche ein bis heute prägendes, grünes Bild gaben. Doron verließ den Stadtteil mit 18 Jahren, um als Kibbuznik auf den Golanhöhen zu leben, „weit weg, um die Welt und die unstillbare Traurigkeit der Menschen zu vergessen, die von ‚dort‘ gekommen waren“. Anschließend studierte sie Linguistik. Ihr Buch „Warum bist du nicht vor dem Krieg gekommen?“ zählt inzwischen in Israel zur Schullektüre.xlviii Ihre letzte Veröffentlichung Sweet Occupation ist dagegen in Israel nicht willkommen. So berichtet die NOZ: „Die Tragödie des Anderen zu verstehen, ist die Voraussetzung, um einander keine weiteren Tragödien zuzufügen.“ Dieser Satz ist auf dem Buchdeckel von „Sweet Occupation“ zu lesen. Es beschreibt, was Lizzie Doron getan hat, um dieses Buch schreiben zu können. Sie hat mit drei ehemaligen palästinensischen Terroristen und zwei israelischen Kriegsdienstverweigerern gesprochen. So konnte sie ein Verständnis für „Gegner“ erlangen, das in ihrer Heimat anscheinend unerwünscht ist. „Sweet Occupation“ wird in Israel nicht verlegt.xlix

Die in Jerusalem geborene Amira Hass ist eine Journalistin und Buchautorin. In der Wikipedial herrscht ein Disput über zahlreiche Aspekte ihres Lebenslaufs. Unstrittig ist, dass sie sich frühzeitig für die Interessen der Palästinenser einsetzte. Im Rahmen ihrer Tätigkeit als Korrespondentin der israelischen Tageszeitung Haaretz schreibt sie seit 1991 über die palästinensischen Autonomiegebiete. Hass war die erste israelische Journalistin, die in den palästinensischen Autonomiegebieten lebt. 1993 zog sie nach Gaza und 1997 nach Ramallah. Israels Politik bezeichnete sie als „Apartheidpolitik“, da es hauptsächlich Juden seien, die Privilegien genießen würden. Sie wurde mehrfach verurteilt, festgenommen und erhielt Todesdrohungen für ihre Haltung. Im April 2013 schrieb Hass einen Artikel im Haaretz, in dem sie das Steinewerfen der Palästinenser auf Israelis als das „Geburtsrecht und Pflicht eines jeden unter fremder Herrschaft“ verteidigte, was zu heftigen Gegenreaktionen führte.li Zu ihren Publikationen gehören Werke wie (1) Morgen wird alles schlimmer. Berichte aus Palästina und Israel, (2) Bericht aus Ramallah. Eine israelische Journalistin im Palästinensergebiet oder (3) Gaza. Tage und Nächte in einem besetzten Land.

Nicht fehlen darf beim Thema Antisemitismus der israelische Filmemacher Yoav Shamir, der nach eigenen Aussagen als israelischer Jude selbst noch nie Antisemitismus erfahren habe, obwohl der Begriff in Israel aber überall zu finden sei – ebenso wie Nazi oder Holocaust. Bei seiner Verfilmung einer Reise mit israelischen Jugendlichen zu den Holocaust-Mahnmalen in Polen wird deutlich, warum das Bedrohungsgefühl durch Antisemiten in Israel so stark ist. Das, was mit den jungen Menschen in Israel passiert, nicht als systematische Manipulation oder Propaganda zu bezeichnen, fällt dem Zuschauer schwer. Der Film Die Verleumdung – Die Wahrheit über den Antisemitismus ist dank seiner Ehrlichkeit überzeugend. Er strotzt vor Aussagen, die sich kein Nichtjude zu sagen wagen würde. Gleich am Anfang heißt es: „Jewish people control the world.“ Und seine über 90-jährige Großmutter sagt: „Jews love money. Jews are crooks.“ Ein fast humorvoller Blick auf die traurige Realität der Antisemitismus-Propaganda.lii

Orthodoxe Antizionisten – „Jüdischer“ geht es kaum

Vereinfacht gesagt: (ultra-)orthodoxe Juden sind etwas Besonderes in der Welt von heute. Sie leben die Religion nicht nur getreu der Thora, sie widmen ihr Leben dem Studium der Thora und sehen sich als die echten Bewahrer des jüdischen Glaubens. Nach diesem Glauben darf es den Staat Israel nur für Juden nicht geben. Die Rückkehr ins Heilige Land setzt das Erscheinen des Messias voraus; greift man dem vor, wie es die Zionisten getan haben, wird dessen Erscheinen verhindert und die Rückkehr aus dem Exil weiter verzögert. Viele Orthodoxe verurteilen die Verbrechen an den Palästinensern und deren Vertreibung scharf und suchen auch mit ausgesprochenen Gegnern des israelischen Staates wie dem früheren Präsidenten des Irans Achmadinejad das Gespräch.liii Sie werden nicht selten Opfer antisemitischer Gewalt, weil sie aufgrund ihrer äußeren Erscheinung als Juden erkannt und mit Zionisten in einen Topf geworfen werden. Seitens der israelischen Staatsmacht werden sie verfolgt, weil sie den Staat nicht anerkennen.

Einer der bekanntesten Vertreter ist Rabbi Weiss. In der Welt konnte man dazu lesen: Jüdischer Israel-Hasser im Kanzleramt empfangen. „Rabbi Yisroel David Weiss wurde am 29. Januar auf Referentenebene im Bundeskanzleramt zu einem Gespräch empfangen.“ Ein Vertreter von Israel-Hassern, die mit Antisemiten kooperieren, als Gast im Kanzleramt?liv In der Wikipedia wird der in den USA geborene Weiss als Aktivist und Sprecher der antizionistischen Gruppe Neturei Karta vorgestellt, die den friedlichen Protest gegen die Existenz des Staates Israels vorantreibt. Seine kritischen Positionen gegenüber dem Holocaust führten zu scharfer Kritik, obwohl er sich selbst als Stimme derjenigen bezeichnet, die im Holocaust gestorben sindlv, und er – wie man auf der Webseitelvi lesen kann – seine eigenen Großeltern in Auschwitz verloren hat.

Reuven Cabelman (Berlin, Antwerpen) ist der Berliner Sprecher der Neturei Karta International und gehörte zu den religiösen Juden, die 2010 – zum ersten Mal seit der Gründung der Bundesrepublik in Deutschland – ihre Sicht der Geschichte darstellten. Sie wiesen darauf hin, dass die Führung des zionistischen Staates keinerlei Recht dazu hat, die jüdischen Opfer des Zweiten Weltkrieges für ihre politischen Machtoptionen und Winkelzüge oder gar als „Alibi“ für die Unterdrückung des palästinensischen Volkes zu missbrauchen, zumal dieses Volk ganz gewiss keinerlei Verantwortung für die Verbrechen des Hitler-Regimes zu übernehmen hat.lvii Für Cabelman ist Antizionismus alles, nur kein Antisemitismus. Solange dieser feine, aber wichtige Unterschied nicht begriffen wird, bleibt der Philosemit bzw. der Prozionist der wirkliche Antisemit. So kann man auf YouTube u.a. hören: „Henryk Broder, Charlotte Knobloch, Stephan Kramer, Graumann: Das sind alles Zionisten, die sich den Mantel des Judentums übergestülpt haben – etwas, das ihnen nicht zusteht – und für ihre eigenen politischen Ziele, ihre Habsucht und ihre eigenen Karrieren missbrauchen. Und das ist das Schlimme, nämlich dass die Aussagen dieser Leute für bare Münze verkauft werden, hier in diesem Land, sodass jeder denkt: ‚So, wie die reden, das sind Juden.‘ Jeder denkt: ‚Das ist jüdisch.‘ Deren Verhalten, deren Unverschämtheit, deren Erpressungsmethoden, deren Vorwürfe, deren Klagen, deren Lügen – alles das sei jüdisch. Und genau DAS ist es, was in unserer Gesellschaft Antisemitismus verursacht.“lviii

Israelkritische Nachgeborene der Opfer im „Land der Täter“

In Deutschland ist es eine historische Verpflichtung, mit Antisemitismus besonders sensibel umzugehen. Antisemitische Vorfälle dürfen sich nicht häufen. Um hier entgegenzuwirken, hat es sich die Amadeu Antonio Stiftung auf die Fahnen geschrieben, bekannte antisemitische Vorfälle zu dokumentieren. So weit, so löblich.

Wenn man dann aber auf deren Webseite unter „Antisemitische Vorfälle 2016“lix Folgendes findet: „30.11.2016, Charlotte Knobloch wird abgemahnt.“ Und weiter: „Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, verliert in einem Gerichtsprozess gegen den Publizisten Abraham Melzer. Das Landgericht München erlässt eine einstweilige Verfügung gegen Knobloch, da sie behauptete, Melzer sei ‚für seine antisemitischen Äußerungen regelrecht berüchtigt‘“ (zitiert nach der Süddeutschen Zeitunglx) – dann bekommt das Ganze surrealen Charakter. Abraham Melzer ist selbst Jude, was dem Besucher der Webseite der Stiftung aber nicht mitgeteilt wird. Dort gilt es als antisemitischer Vorfall, wenn eine Jüdin gegen einen Juden einen Prozess führt und diesen verliert. Da stellt sich die Frage, ob der Vorfall auch aufgeführt worden wäre, wenn Melzer den Prozess verloren hätte.

Abraham Melzer gehört inzwischen zu den bekanntesten Israelkritikern im deutschsprachigen Raum. Der Herausgeber der Webseite Die andere jüdische Stimmelxi und Buchautor (Die Antisemitenmacher)lxii sagt öffentlich: „Israel-Kritik ist nicht antisemitisch.“ Wie man beim Schweizer Fernsehen nachlesen kann: „Melzer bezeichnet sich als Freund Israels. Aber mit dessen Machtpolitik kann er nichts anfangen. Doch wer das Gebaren der Regierenden im jüdischen Staat kritisiere, werde in Deutschland sofort in die antisemitische Ecke gestellt. Das ärgert den 72-Jährigen, der seine Kindheit in den 40er und 50er Jahren in Israel verbracht und im israelischen Militär gedient hat. «Ich hasse dieses Land nicht», sagt er, «aber ich verachte die Politik.» Antisemitismus, der Rassenhass, sei eine ganz andere Kategorie und werde verharmlost, wenn man ihn mit berechtigter Polit-Kritik vermenge.“lxiii Dass die Präsentation seines Buches in Deutschland zu Saalverboten wie in Frankfurt führt, wird von kritisch denkenden Menschen als massiver Eingriff in die Meinungsfreiheit gesehen.lxiv

Auf der Webseite Soziale Opposition“ findet man die Übersetzung eines Briefes, den Albert Einstein, Hannah Arendt und 26 weitere jüdische Intellektuelle bereits 1948 verfasst und der „ew York Times gesandt hatten, in dem sie davor warnten, dass Israel ein faschistischer Staat wird. „Zu den beunruhigendsten politischen Phänomenen unserer Zeit im neu geschaffenen Staat Israel gehört der Aufstieg der ‚Freiheitspartei‘ (Tnuat Haherut), einer politischen Partei, die in ihrer Organisation, ihren Methoden, ihrer Politik, Philosophie und ihrer gesellschaftlichen Ausrichtung den Nazis und Faschisten ähnelt. Sie wurde aus der Mitgliedschaft und den Anhängern des ehemaligen Irgun Zvai Leumi, einer terroristischen, rechtsgerichteten und chauvinistischen Organisation in Palästina, gebildet.“lxv Die heute häufig massiv kritisierten Vergleiche des Verhaltens der israelischen Regierung mit Nazis und Faschisten stellten für diese kritischen Denker wohl kein Problem dar.

Der aus Frankfurt stammende Alfred Grosser ist Publizist, Soziologe und Politikwissenschaftler mit jüdischen Wurzeln, dessen Familie während der Nazi-Zeit nach Frankreich floh und die französische Staatsangehörigkeit verliehen bekam.lxvi Grosser, der sich als „Atheist, der dem Christentum nahesteht“ definiert, ist als Gegner der israelischen sowie zum Teil auch der französischen Regierungspolitik bekannt. Seit einigen Jahren vertritt er die These, dass „Israel-Kritik“ in Deutschland nicht erlaubt sei und eine Keule gegen die Deutschen geschwungen werde, die besage: „[…] ich schlage Dich mit Auschwitz […].“ Grosser ist außerdem der Meinung, die Politik Israels fördere den Antisemitismus. 2009 äußerte er sich in der FAZ“unter dem Titel „Es ist schlimmer denn je“ über die israelische Siedlungspolitik, den Zentralrat der Juden in Deutschland und das Gedenken an den Holocaust.lxvii „Ich fände es besser, Deutschland würde sich auf sämtliche Gründe besinnen, aus denen heraus man den Nationalsozialismus ablehnt. Diese Ideologie war nämlich nicht nur antisemitisch, sie war insgesamt rassenverachtend. Warum macht man sich also nicht dafür stark, dass die Würde der Menschen für alle gilt – ob Jude, Palästinenser oder sonst wer. Wer das nicht tut, ist dem Anti-Nazismus nicht treu. … Viele Menschen hier haben den Eindruck, dass sie ihre Kritik nicht artikulieren dürfen. Die deutsche Regierung und die meisten deutschen Medien haben nicht sehen wollen, was für Greuel während des Gaza-Kriegs geschehen sind. Und der Zentralrat der Juden in Deutschland macht sich ganz selbstverständlich die Haltung der israelischen Regierung zu eigen, wonach dieser Krieg so menschlich wie möglich geführt wurde.“

In der NRhZ“und auf der Webseite „Sicht vom Hochblauen“lxviii publiziert Evelyn Hecht-Galinski ihre sehr scharfe und pointierte Kritik an Israel und der zionistischen Bewegung, die auch in anderen alternativen Medien veröffentlicht wird. Die Tochter von Heinz Galinski, dem früheren Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland und Auschwitz-Überlebenden, unterstützt u.a. die BDS-Bewegung (Boycott, Desinvest, Sanction), die von vielen Kritikern zu „Kauft nicht bei Juden“ diffamierend verkürzt wird. Die Berliner Publizistin und Gründerin der deutschen Abteilung der „üdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost“wurde durch ihre Auseinandersetzungen mit der Zentralratsspitze und den Rechtsstreit über Antisemitismusvorwürfe gegen sie vor allem in Deutschland sehr bekannt.lxix In ihrem Buch Das elfte Gebot: „Israel darf alles“. Klartexte über Antisemitismus und Israel-Kritik wird sie deutlich. So kann man im Pressespiegel des Palmyra Verlags u.a. nachlesen: „In den einzelnen Beiträgen kann der politisch Interessierte die Angriffe der Autorin gegen den Zentralrat, ihren Lieblingsfeind Henryk M. Broder und gegen die Unterwürfigkeit deutscher Politiker gegenüber Israel nachlesen. Der Wert des Buches besteht darin, dass es in komprimierter Form die vielfach geäußerte Kritik an der israelischen Regierungspolitik und die Doppelmoral der deutschen politischen Elite in der Rechtfertigung einer sämtliche westlichen Werte verletzenden Politik gegenüber den Palästinensern allen Leserinnen und Lesern vor Augen führt.“ (aus „Neue Zürcher Zeitung“lxx

Die in Polen geborene Felicia-Amalia Langer ist eine deutsch-israelische Anwältin, Menschenrechtsaktivistin und Trägerin des Right Livelihood Awards sowie zahlreicher weiterer Auszeichnungen, wie z.B. des palästinensischen Verdienstordens.lxxi Sie überlebte die Nazi-Zeit in der Sowjetunion und wanderte gemeinsam mit ihrem Mann – einziger Überlebender der Shoa seiner gesamten Familie – 1950 nach Israel aus. Ihr Jurastudium nutzte sie für politisches Engagement und verteidigte als erste israelische Anwältin Palästinenser aus den besetzten Gebieten vor israelischen Militärgerichten. Seit 1990 lebt sie in Deutschland und nahm 2008 auch die deutsche Staatsangehörigkeit an. Als Schirmherrin des Vereins Flüchtlingskinder im Libanon fördert sie palästinensische Flüchtlingsfamilien, seit März 2009 unterstützt sie das Russell-Tribunal zu Palästina. In ihren Schriften, Vorträgen und Interviews kritisiert sie Israels Politik in den besetzten palästinensischen Gebieten und fordert den vollständigen und bedingungslosen Abzug Israels aus den 1967 eroberten Gebieten und ein Rückkehrrecht für jeden Nachkommen der Palästinenserflüchtlinge. Im Juli 2009 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, was in Verbindung mit ihrer Haltung zum Nahostkonflikt eine öffentliche Kontroverse auslöste.lxxii Der Zentralrat der Juden in Deutschland war „verstimmt“. Der Spiegel schrieb 2009 dazu: „Von wegen nette Anwältin: Felicia Langer hilft den Deutschen, über ihre Schuldgefühle gegenüber den Opfern des Holocaust hinwegzukommen, meint Henryk M. Broder. Dafür wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Nicht, weil sie sich für Palästinenser einsetzt.“lxxiii

Judith Bernstein setzt sich gemeinsam mit ihrem Mann Reiner mit viel Empathie für eine bessere Zukunft in Palästina ein und damit zwischen alle Stühle. Die in Jerusalem geborene Tochter deutscher Eltern hatte in deren Sportgeschäft frühe Kontakte zu christlichen Arabern. 1976 zog sie endgültig nach München um. Nach dem zweiten Golfkrieg 1991 begann ihre Zeit als Friedensaktivistin, u.a. als Mitglied der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe München, in der Palästinenser, Juden und Israelis zusammenarbeiten. Neben der Organisation von öffentlichen Veranstaltungen mit Israelis und Palästinensern aus der Friedensszene ist sie als freie Publizistin mit Beiträgen in deutschen Zeitungen und für Rundfunk- und Fernsehinterviews tätig.lxxiv Ihre Grundwerte „Wir sind davon überzeugt, dass die Gründung des souveränen Staates Palästina an der Seite des Staates Israel die einzige realistische Chance für die Regelung des Konflikts zwischen beiden Völkern ist. Theoretische Spekulationen wie der gemeinsame Staat für Juden, Muslime und Christen auf dem Territorium des historischen Palästinas können darüber nicht hinwegtäuschen. Auch wenn die Zweistaatenregelung heute in weiter Ferne liegen mag, plädiert die überwältigende Mehrheit der jüdischen Israelis und der arabischen Palästinenser für diese Option“ findet man auf der Webseite Genfer Initiative.lxxv

Der Initiator der Berlin Erklärung Schalom 5767 und ein früheres Mitglied im Zentralrat der Juden Rolf Verleger ist ein deutscher Psychologe, Hochschullehrer und Essayist. Der Sohn Überlebender der Shoa äußerte sich seit 2006 kritisch zu den „militärischen Maßnahmen der israelischen Regierung gegen den Libanon“ und zu der Israel unterstützenden Haltung des Zentralrats hierzu. Dies brachte ihm vonseiten der Zentralrats-Vorsitzenden Charlotte Knobloch und anderer Repräsentanten jüdischer Organisationen Kritik ein und er verlor seine Funktionen in der jüdischen Gemeinde. Er engagiert sich im Verein Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost, im Beirat der Deutsch-Arabischen Gesellschaft sowie im Bündnis zur Beendigung der israelischen Besatzung, das er am 2. Juli 2016 gemeinsam mit Yazid Shammout, dem Vorsitzenden der palästinensischen Gemeinde in Hannover, gründete.lxxvi In einem Interview in der TAZ im September 2016 sagt Rolf Verleger zum Thema Antisemitismus: „Antisemit ist nicht, wer Israels Politik kritisiert. Den Groll gegen die Juden befördert, wer jede Kritik unterbindet.“ Und er geht noch weiter: „Ich finde es antisemitisch, das zu unterstützen, was Israel macht. … Weil es sich gegen die zentrale Botschaft des Judentums richtet. … Die Menschen- und Völkerrechtsverletzungen, die Israel begeht, unhinterfragt hinzunehmen, finde ich aber in letzter Konsequenz antisemitisch.“lxxvii

Ernst Tugendhat, Michal Bodemann und Wolfgang Edelstein gehören zu den jüdischen Erstunterzeichnern der Berliner Erklärung. Sie beklagen, dass das aus Scham und Trauer geborene deutsche Schweigen gegenüber Israel weiteres Unrecht ermögliche, wie man in der TAZ 2007 lesen kann.lxxviii In der Berliner Erklärung Schalom 5767 hieß es u.a.: „Seit Jahrzehnten leben das israelische und das palästinensische Volk als Nachbarn. Es gäbe viele Möglichkeiten zur Zusammenarbeit und zur gemeinsamen Entwicklung. Stattdessen wird ihr Leben vergiftet durch Krieg und Gewalt, durch Bedrohung und Terror, durch gegenseitigen Hass, Verachtung und Respektlosigkeit. Das Grundübel ist die seit 1967 andauernde israelische Besetzung palästinensischen Gebiets. Die Besetzung bedeutet Entwürdigung und Entrechtung der Palästinenser. Sie lähmt ihr wirtschaftliches, politisches und soziales Leben. Darüber hinaus verhindert dieses täglich neu erlebte Unrecht einen friedlichen Ausgleich des alten Unrechts, das den Palästinensern mit der Vertreibung von 1948 angetan wurde. All dies treibt die Spirale der Gewalt an.“lxxix

Die Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost verwehrt sich wie viele andere Juden scharf dagegen, dass Zionisten und andere sich anmaßen, die Juden weltweit für sich zu vereinnahmen. Der im Oktober 2007 gegründete Verein, eine Sektion der Föderation EUROPEAN JEWS FOR A JUST PEACE (EJJP), handelt „auf der Grundlage der Gründungserklärung der EJJP, die im September 2002 in Amsterdam von 18 jüdischen Organisationen aus 9 europäischen Ländern verabschiedet wurde. Als assoziiertes Mitglied der Föderation will sie über die Notwendigkeit und Möglichkeit eines gerechten Friedens zwischen Palästina und Israel informieren. Ihre wesentliche Aufgabe sieht sie darin, darauf hinzuwirken, dass die Bundesregierung ihr außenpolitisches und ökonomisches Gewicht in der Europäischen Union, in den Vereinten Nationen und nicht zuletzt auch in Nahost nachdrücklich und unmissverständlich im Interesse der Herstellung eines lebensfähigen, souveränen Staates Palästina auf integriertem Hoheitsgebiet und innerhalb sicherer Grenzen nutzt und aktiv zur Verwirklichung eines dauerhaften und für beide Nationen lebensfähigen Friedens beiträgt. Allen jenen, die sich anmaßen, für alle Juden einer Nation oder gar der Welt zu sprechen, rufen wir entgegen: Nicht in unserem Namen!“lxxx

Jüdische Israel-Kritik aus den USA

In den USA, dem treusten Alliierten Israels, ist die Israel-Lobby enorm stark vertreten. AIPAC, das American Israel Public Affairs Committee, gilt mit über 100.000 Mitgliedern als die stärkste Organisation. Das bereits 2007 von John J. Mearsheimer, Professor an der Universität von Chicago, und Stephen M. Walt, Professor an der John F. Kennedy School of Government in Harvard, veröffentlichte Buch The Israel Lobby führte zu enormen Kontroversen und stellte einen Tabubruch dar. Es beleuchtet – wohl erstmals – den Einfluss der Israel-Lobby auf die US-Außenpolitik. Die Wikipedialxxxi dokumentiert, dass es sich für die Autoren dabei nicht um eine jüdische Organisation handelt. „Sie definieren sie als ‚lose Koalition von Einzelpersonen und Organisationen, die sich aktiv dafür einsetzen, die amerikanische Außenpolitik in eine israelfreundliche Richtung zu steuern‘. Die Autoren legen Wert darauf, dass es nicht angemessen sei, von einer ‚jüdischen‘ Lobby zu sprechen, da nicht alle Juden eine enge Bindung an Israel haben und einige Unterstützer der Lobby keine Juden seien – ‚christliche Zionisten‘ spielten ebenso eine bedeutende Rolle. Die Israel-Lobby sei keine Verschwörung, sondern einfach eine mächtige Interessengruppe wie andere Lobbys auch. Das Hauptargument der Autoren gegen die Israel-Lobby ist, dass sie weder im Interesse der USA noch im Interesse Israels arbeite.“

Vom Verhalten der US-Präsidenten zu schließen, gewinnt man den Eindruck, dass es kaum möglich ist, die USA gegen den Willen der AIPAC zu regieren. Ob George Bushlxxxii, Barack Obamalxxxiii, Hillary Clintonlxxxiv oder Donald Trumplxxxv: jeder der letzten US-Präsidenten bzw. Kandidaten hat vor (und nach) der Wahl bei den AIPAC-Konferenzen klar seine Unterstützung bekundet.

Doch trotz dieser weltweit wohl stärksten Lobbyarbeit im Namen Israels gibt es in den USA zahlreiche jüdische Kritiker der Regierungspolitik des Landes. Im Cicerolxxxvi kann man nachlesen: „Es gibt immer mehr linke jüdische Aktivisten und Publizisten in den USA, die sich gegen die israelische Militärpolitik stellen. Dazu zählen Philip Weiss, der sich als Anti-Zionist bezeichnet und das Blog Mondoweiss.com betreibt, der Autor Max Blumenthal (Sohn des Clinton-Beraters Sidney Blumenthal) und Amy Goodman vom TV-Programm ‚Democracy Now‘“. Ferner führt der Artikel im Cicero auf:

Henry Siegman, den früheren Direktor des American Jewish Congress, ein orthodoxer Rabbi, der 1933 in Frankfurt am Main geboren wurde
MJ Rosenberg, früherer Mitarbeiter der Israel-Lobby AIPAC, der für die Huffington Post schreibt
David Remnick, Chefredakteur des New Yorker, der das „israelische Blutvergießen“ in Gaza beklagte
Peter Beinart, Professor für Journalismus an der City University of New York und liberaler Zionist, der heute den Boykott von Produkten aus der besetzten Westbank unterstützt
Jon Stewart, Host im populären Comedy-Programm Daily Show, der Hillary Clinton für ihre pro-israelische Haltung kritisierte
liberale Publikationen wie der Jewish Forward,lxxxvii die zunehmend israelkritisch werden wie deren Kolumnist J.J. Goldberg

Ein weiterer kritischer Journalist, der seit 2008 für das Jewish Forward arbeitet, ist Larry Cohler-Esses. Davor war er für die Jewish Week, die New York Daily News und die Washington Jewish Week tätig, wobei er sich extensiv mit den arabisch-jüdischen Beziehungen innerhalb der USA und im Mittleren Osten beschäftigt. Laut New York Times war Larry Cohler-Esses 2015 „The first journalist from an American Jewish pro-Israel publication to be given an Iranian visa since 1979.“lxxxviii

International bekannt ist Noam Chomsky, nicht nur, aber auch für seine Kritik der Politik der USA und Israels. Der emeritierte Professor für Linguistik am Massachusetts Institute of Technology (MIT) stammt aus Philadelphia und ist einer der weltweit bekanntesten linken Intellektuellen. Seit 2008 unterstützt Chomsky das Free Gaza Movement, das er als „mutiges und notwendiges Unterfangen“ bezeichnet. Im Mai 2010 wollte er zu einem Vortrag an der Universität Bir Zait über die Allenby-Brücke in das israelisch besetzte Westjordanland einreisen. Nach einem vierstündigen Verhör wurde Chomsky die Einreise von den israelischen Grenzbehörden verweigert. Später erklärte ein Regierungssprecher, dass das Einreiseverbot ein Missverständnis gewesen sei. Chomsky hatte zuvor schon zahlreiche Vorträge an israelischen Universitäten gehalten. Im Jahr 2013 war er einer der Akademiker, die Stephen Hawking dazu aufriefen, seine Teilnahme an einer Konferenz in Israel abzusagen.lxxxix In einem Interview mit Amy Goodman für Democray Now! heißt es u.a.: „Israel’s Actions in Palestine are Much Worse Than Apartheid in South Africa.“xc

Der New Yorker Politikwissenschaftler Norman G. Finkelstein verfasste mehrere kritische Bücher zum Themenkomplex des Zionismus, des Nahostkonflikts und des Gedenkens an den Holocaust. Er ist wie viele jüdische Israelkritiker umstritten. Um die aus seiner Sicht verwerfliche Politik Israels zu kritisieren und die untragbare Situation der Palästinenser zu verdeutlichen, greift Finkelstein in seinen Reden und Publikationen häufig auf NS-Vergleiche zurück. Die Israelis täten den Palästinensern genau das an, was ihre Vorfahren in der Zeit des Nationalsozialismus hätten erdulden müssen.“ Mit seinem Buch Die Holocaust-Industrie hat Finkelstein ein Zeichen gesetzt, das ihn massiver Kritik aussetzte. Nachdem auch seine Familie zu den Opfern des Holocaust gehört – die Eltern überlebten das Warschauer Ghetto, die Mutter das KZ Majdanek, der Vater Auschwitz, andere Verwandte wurden umgebracht –,- kann man ihn jedoch nicht so leicht diskreditieren. Trotzdem wurde und wird die Wissenschaftlichkeit seiner Arbeit infrage gestellt oder er als „self-hating Jew“ bezeichnet. Norman Finkelstein weiß sich aber zu wehren, wie man auf YouTubexci sehen kann. An der Universität von Waterloo sollte er durch Tränen einer Studentin unter Druck gesetzt werden. Seine Reaktion war beinhart. Auf seine Aussage, dass er Krokodilstränen nicht respektiere, zog er die „Holocaust-Karte“ seiner Familie. Um dann darauf hinzuweisen, dass er genau aufgrund dieser familiären Tragödie nicht schweigen würde, wenn Israel Verbrechen gegen Palästinenser begehen würde.

Über Judith Butler erfährt man bereits 2012 im Tagesspiegel: „Israel repräsentiert nicht alle Juden“. Im Bericht erläuterte die umstrittene jüdische Star-Philosophin, die in Cleveland, USA, zur Welt kam, warum sie Israel boykottiert und wie sie zum Zionismus steht.xcii Die „Israel-Hasserin“, die wegen ihrer „moralischen Verderbtheit“ des Adorno-Preises der Stadt Frankfurt nicht würdig sei, lehnt jeden gewaltsamen Widerstand ab, auch den der Palästinenser. Laut Tagesspiegel „passt das zu Butlers gesamtem wissenschaftlichem Werk, das zutiefst humanistisch sei. Butler lehnt die Gleichung ‚Judentum gleich Israel‘ ab, das hat sie schon oft gesagt. Überall auf der Welt hätten die Juden unterschiedlichste Beziehungen zu Israel. Darum könne Israel auch nicht für sich in Anspruch nehmen, das gesamte Judentum zu repräsentieren. Im Übrigen sei Israel ja auch nicht nur ein jüdischer Staat: 30 Prozent seiner Bevölkerung sind Palästinenser, sagt Butler.“ Sie ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Jewish Voice for Peace und schrieb das Vorwort des von Jewish Voice for Peace herausgegebenen Buchs On Antisemitism: Solidarity and the Struggle for Justice in Palestine. Darüber hinaus unterstützt sie die BDS-Kampagne gegen Israel.xciii

Israelische Exilanten – Erneut in der Diaspora

In der Linken Zeitungxciv erschien im Oktober 2016 der Artikel Auswanderung aus Israel als politische Tat von Naaman Hirschfeld. Der Doktorand am Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin lebt dort mit Frau und Kind und bezeichnet sich als Post-Israeli, da er, wie sein Bruder Amitay auch, Israel 2012 verlassen hat. „Ich war ein Kind zur Zeit der Oslo-Abkommen. Es gab Hoffnung. Heute gibt es keine Hoffnung, weder auf Frieden noch auf Veränderung in Israel. Dieses Land ist ein sinkendes Schiff.“xcv In dem Artikel begründet er das weiter: „Die israelische Regierung hat dafür gesorgt, dass eine Zweistaatenlösung unrealisierbar ist, und Apartheid ist bereits da. Ich werde die Zukunft meiner Kinder nicht für einen hoffnungslosen Kampf opfern. … Verzweiflung ist tatsächlich der Grund, warum ich gegangen bin. Ich bin an der sich vor unseren Augen allmählich entfaltenden Katastrophe verzweifelt. Ich bin verzweifelt an der Gehirnwäsche, der Propaganda, an der politischen Meinungsmache und an den absichtlichen Täuschungen. Ich bin verzweifelt an dem blutrünstigen Gesindel, das mit Furcht und Hass vergiftet ist. Ich bin am Israelischsein verzweifelt, das, von allem Inhalt entleert, nur die Negierung anderer übriglässt. Ich bin verzweifelt am Zynismus der Regierung, der Inkompetenz des Establishments und der sich ausbreitenden Korruption. Aber vor allem bin ich an der Verzweiflung verzweifelt.“

Die jüdische Antifaschistische Aktion in Berlin wurde von Israelis als linke Bewegung, in der Israel-Kritik erlaubt ist, gegründet, und steht allen Menschen – unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit – offen. Zu den Partner-Organisationen, mit denen man sich solidarisiert, gehören u.a. die BDS-Bewegung, die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost, das +972 Magazine, Breaking the Silence oder B’Tselem. Die dort organisierte jüdische Linke, vor allem Migrant_innen aus Israel, ist systematischer Gewalt seitens der deutschen – israelhörigen – Linken ausgesetzt. In ihrem Manifest erklären sie u.a.: „Die Jüd_innen werden erst frei sein, wenn die Palästinenser_innen frei sind. … Die jüdische Linke wird von vielen Teilen der deutschen Linken unter Beschuss genommen. Und nicht nur die jüdische Linke: Unsere Verbündeten – Palästinenser_innen, Migrant_innen und andere, die sich gegen Israels kolonialistische Politik, Besatzung und Enteignung aussprechen – werden noch massiver angegriffen.“xcvi

Der israelische Historiker, Autor und Professor Ilan Pappe stammt aus Haifa und lehrt heute an der Universität Exeter. Er hat zahlreiche Veröffentlichungen zum israelisch-arabischen Konflikt und über die Geschichte des Nahen Ostens verfasst und gehört zu den prominenten Befürwortern der Einstaatenlösung. Der Sohn deutscher Flüchtlinge vor den Nazis diente während zweier Kriege in der israelischen Armee. Seine Professur an der Universität Haifa musste er 2005 niederlegen, da ihm ein Rücktritt nahegelegt worden war. Der Grund? Er setzte sich aktiv für einen internationalen Warenboykott gegen Israel ein.xcvii Der israelische Historiker beschreibt in seinem Buch Die ethnische Säuberung Palästinas, das 2006 veröffentlicht und 2016 von den Nachdenkseiten rezensiert wurde, „wie langfristig und systematisch aus seiner Sicht die Zerstörung und Vertreibung angelegt war, beginnend spätestens in den dreißiger Jahren; wie gut ausgedacht und gespalten die Propaganda, die die Staatsgründung Israels begleitete, angelegt war, wie sich Propaganda und Wirklichkeit unterschieden, und welche kulturellen Schätze neben den Menschen in Palästina gelitten haben.“xcviii

Der Biographie von Udi Aloni,xcix der 1959 in Israel als einer der drei Söhne von Shulamit Aloni zur Welt kam, kann man entnehmen, dass er Filmemacher, Autor und Künstler ist, dessen Werk sich auf die Wechselbeziehungen zwischen Kunst, Politik und Theologie in der israelisch-palästinensischen Geschichte und der deutsch-jüdischen Philosophie konzentriert. In all seinen Aktivitäten, zu denen auch Vorträge an Universitäten, auf Konferenzen und Demonstrationen gehören, versteht sich Aloni als eine deutliche Stimme für Gerechtigkeit, Frieden und Solidarität zwischen Israel und Palästina. Er unterstützt die BDS-Bewegung, klagt Israel einer Apartheid an, die grausamer sei als in Südafrika, und bezeichnet Ideologie und Handeln des Staates als rassistisch. Palästinenser sieht er als Brüder, mit denen ihn eine gemeinsame Identität verbindet. Aloni ist Mitglied des Advisory Board der Jewish Voice for Peace und propagiert das Motto „From the River to the Sea all People Must be Free“ auch auf seiner Homepage.c

Die 2007 verstorbene Tanya Reinhart stammte aus Haifa und lebte bis zu ihrem Tod in New York. Sie war Kolumnistin der israelischen Tageszeitung Jedi’ot Acharonot und schrieb auch für die Websites CounterPunch oder Z-net, meist über das Verhältnis zwischen Israel und den Palästinensern. Ihren Ph.D. erhielt sie vom MIT, ihre Arbeit wurde von Noam Chomsky betreut.ci Die im deutschsprachigen Bereich weniger bekannte Aktivistin beschuldigte Israel einer Politik, die über Apartheid hinausgeht, vielmehr ethnische Säuberung und Genozid bedeutet.cii Die aktive Demonstrantin forderte die Räumung der besetzten Gebiete und war eine Gegnerin des Oslo-Friedensprozesses, der die illegale Besetzung festschreiben würde, da in ihren Augen dadurch die Besetzung der palästinensischen Gebiete nur verlängert und gefestigt werde.

Miko Peled,ciii bekannt als „der Sohn des Generals“, kam 1961 in Jerusalem als Sohn von Mattityahu Peled zur Welt. Dieser war nicht nur ein israelischer Politiker, sondern hatte als General während der Nahostkriege eine führende Funktion in der israelischen Armee (IDF) inne.civ Heute lebt der israelische Menschenrechtsaktivist in Washington DC und setzt sich vehement und bewusst für die Rechte der Palästinenser eincv, was ihm Kritiken wie „Die Universität Zürich und die fragwürdige Wahl des Gastredners Miko Peled“cvi einbringt. Das Besondere an ihm ist neben seinem Vater, der ab 1969 einer der radikaleren Vertreter des israelischen Friedenslagers war, und seinem Großvater Avraham Katznelson, Zionistenführer und Mitunterzeichner der israelischen Unabhängigkeitserklärung, der Anlass, der ihn zum Friedensaktivisten hat werden lassen: 1997 wurde seine Nichte Smadar von einem palästinensischen Attentäter getötet, was bei ihm einen radikalen Umdenkprozess einleitete. In seinem Buch Der Sohn des Generals: Reise eines Israelis in Palästina geht er darauf ein, was das bedeutete. „Statt aus diesem traumatischen Ereignis die Konsequenz zu ziehen, die Araber und Palästinenser zu hassen, schlug Miko Peled den entgegengesetzten Weg ein und widmete sich konsequent der Frage: Wie konnte es zu diesem furchtbaren Ereignis kommen? Wer sind die Menschen, aus deren Mitte dieses Attentat hervorging? Was h

 

Erschienen bei Gruppe42

Eine Kurzfassung dieses Artikels erschien im Rubikon.

Darüberhinaus wurde große Teiles des Textes von Jochen Mitschka in sein Buch "Die vergessenen Lehren von Auschwitz: Wenn Staatsräson gegenüber Israel wichtiger ist als Menschenrechte und Völkerrecht" übernommen.

 

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