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13.08.2016
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Tag 7 Entschleunigte Friedensfahrt erlaubt Erlebnisse der besonderen Art |
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Pünktlich um 10 stehen Lena, Oksana und Lenas Mann Roman vor der Tür. Sie planen eine Tour nach Petschory – ca. 50 km von Pskow entfernt – zum ältesten Kloster Russlands. Anschließend soll es dann nach Isborsk gehen, einer der ältesten befestigten Siedlungen des Landes.
Die Fahrt ist sehr komfortabel. Romans Auto ist mit Kamera und Radar-Warner ausgestattet. Einerseits kann er mit diesen technischen Geräten beweisen, dass er im Falle eines Unfalls nicht verantwortlich war, andererseits kann er auch mal aufs Tempo drücken, ohne dass es gleich richtig teuer wird.
Roman hat in der Ukraine an der Militärakademie Radiotechnik studiert – früher war das ja alles ein Land und man konnte hingehen wohin man wollte. Früher. Bevor dieser ganze Schlamassel begann. Oksana und Lena sind Lehrerinnen, haben sich aber vor einem Jahr gemeinsam selbstständig gemacht und unterrichten Deutsch. Sie bereiten ihre Schüler u.a. auf die Sprachprüfung im Goethe-Institut in St. Petersburg vor. Berufliche Unabhängigkeit war ihnen lieber als tun zu müssen, was „Herr Direktor“ sagt. Sie waren beide schon in Deutschland und Österreich – und sie verstehen nicht, genauso wenig wie wir, warum die Situation politisch so eskaliert ist. Wir sind doch alle nur Menschen und Menschen wollen alles, nur keinen Krieg.
Dass weder Roman noch die beiden Frauen von Angela Merkel begeistert sind, kann ich gut nachvollziehen. Die drei konnten aber auch mit meiner Position etwas anfangen, als ich sagte, dass es unter den Russen genauso viele A-löcher gibt wie unter Deutschen, US-Amerikanern, Österreichern oder Norwegern. Und eben auch genauso viele nette Menschen. In allen Ländern gibt es diese und jene. Wir sind alles Menschen – darauf kommt es an. Und wir sollten alle versuchen, altes Generationenwissen über „die bösen Russen“ oder „die bösen Deutschen“ endlich zur Seite zu schieben. Das ist ja auch ein Ziel dieser Friedensfahrt.
 Zum Vergrößern anklicken! – Das Kloster
Aber heute war es eine Fahrt der besonderen Art. Das Höhlenkloster von Petschory wurde von Mönchen gegründet, die auf ihrer Flucht vor ... habe ich vergessen ... die Höhlen fanden und sich dort niederließen. Es wurde nach und nach ausgebaut und war, wie man uns erzählte, niemals – selbst nicht während der Zeit der Nazis noch in der Sowjetunion – geschlossen.
Lena erzählte uns, dass einem Abt des Klosters wohl eine sehr kooperativ-kreative Zusammenarbeit mit den Behörden gelang. In einem Jahr, in dem die Mönche auch zur Wahl in die Stadt gehen sollten, reihte er sie alle auf und sie marschierten in einer Prozession geschlossen mit Ikonen und Kreuzen ins Wahllokal. Bei der nächsten Wahl waren die Behörden nicht mehr auf die Teilnahme der Klosterbrüder im Wahlbüro erpicht. Man kam ins Kloster und ließ die Mönche dort abstimmen. So schlägt man das System am besten: mit seinen eigenen Waffen. Solche Geschichten gefallen mir sehr. Ein Besuch der Höhlen oder der Gärten des Kloster war, wie mir Lena sagte, leider nicht möglich. Dafür ist eine Segnung des Abtes oder eine Voranmeldung möglich. Auch wenn ich mich wie alle Frauen geziemt kleidete, einen Rock über meine Hose und das Kopftuch über die Haare zog, für eine „Segnung“ reichte das wohl nicht. Unser Besuch war ja völlig spontan zustande gekommen. Aber die gesamte Anlage war an sich schon sehr beeindruckend. Das heilige Wasser aus dem 110 Meter tiefen Brunnen schmeckt herrlich frisch. Besser als alles, was ich die letzten Tage getrunken habe.
 5 Akteure beim Glockenspiel
Und dann begann auch noch das Glockenspiel, bei dem ein Mönch und mehrere Hilfskräfte mit langen Seilen ein – gefühlt zwanzig-minütiges – Tohuwabohu-Glocken-Konzert veranstalteten. Es war eine seltsame Mischung aus „laut“ und sehr beruhigender Musik. Seltsam war auch mein Bedürfnis, das alles bis zum Ende mitzuverfolgen. Normalerweise ergreife ich bei Kirchenglocken sofort die Flucht. Aber allein diesen Mönch zu beobachten hat mich begeistert. Er stand da, völlig gelassen in der Touristenmasse (vermutlich zu 99% gläubige Russen) und erbrachte seine Hymne an Gott. Ich bin ja selten beeindruckt, aber irgendwie hinterließ dieser Mönch einen tiefen Eindruck bei mir, zog mich in seinen Bann. Und auch Claus war offensichtlich ziemlich begeistert von der Vorführung, denn er ging im Anschluss spontan zu ihm hin und bedankte sich – spassiba – persönlich.
 Mönch Andrej
Ab diesem Zeitpunkt waren wir wohl „vom Abt gesegnet“. Denn nachdem ich dem Mönch – ein lettischer Russe namens Andrej – auch noch unseren Friedensfahrt-Flyer überreicht hatte, entbrannte eine sehr spannende Diskussion. Andrej ist der festen Überzeugung, dass Menschen nichts ändern können. In Lettland hat er Jahre lang in Frieden mit den Menschen gelebt, aber dank der ganzen Medienpropaganda wurde das Verhältnis zwischen lettischen und russischen Letten immer schlimmer. Darum ist er ins Kloster von Petschory gegangen – vielleicht sogar geflüchtet? Er machte auf mich – aber auch auf Lena und Oksana, die freundlicherweise alles für uns übersetzten – auf einmal einen eher resignierten Eindruck. „Wir können die Probleme eben nicht lösen. Dafür braucht es Gott“, so sein Credo. Claus wies darauf hin, dass wir es „in unseren Gärten“ lösen können, indem wir uns eben unabhängig vom System machen. Das war das Stichwort „Garten“ – und Mönch Andrej nahm uns mit auf eine Tour durch den Klostergarten ... vom Abt oder dem Universum gesegnet ... da wir ja nicht angemeldet waren. Innerhalb des Klostergartens tummelten sich Störche, Eichhörnchen, weiße Fasane und sogar Rehe. Ich sah haufenweise Apfelbäume und uns wurden weitere Details zum Kloster, seiner Entstehungsgeschichte und auch seiner Bedeutung für Russland erzählt, da es als Grenzstation wohl mehrfach zur Verteidigung des Landes beigetragen hatte. Als die anderen Touristen weg waren, setzten wir unsere politische Diskussion weiter fort, solange bis sein Handy klingelte und er zur nächsten Glockenspiel-Aktion gerufen wurde.
Deutlich langsamer als Mönch Andrej verließen wir den Klostergarten, spielten noch mit dem Rehkitz, das völlig frei rumtollte und ich quälte mich die steile Treppe in Richtung Ausgang herunter. Das Glockenspiel war gerade wieder vorbei und Andrej sah uns erneut. Er fragte uns nach unserer Weiterfahrt und kam dann mit dem Bild eines Rehes, einer Tafel Schokolade und einer Ikone, die er für uns segnete, zurück. Die Ikone soll unser Auto auf der weiteren Fahrt schützen. Und obwohl ich nicht weiß warum, ich bin überzeugt, dass sie ihren Teil dazu beitragen wird, dass ich in einigen Tagen wieder wohlbehalten in Österreich ankommen werde.
Dass Mönch Andrej sich nur von Claus per Handschlag verabschiedete, war wohl der Tatsache geschuldet, dass wir drei anderen Frauen waren. Das muss ich wohl nicht persönlich nehmen ... Was verbindet einen streng gläubigen orthodoxen Russen mit einem streng gläubigen Muslim? Frauen sind „auf Abstand zu halten“. Und das mir als überzeugter Emanze :-)
 Überall gibt es Verkaufsstände mit Obst
Immer noch voll von Impressionen geht es Richtung Ausgang, wo Roman schon sehnsüchtig auf uns wartet. Dass es so lange dauern würde, hatte er wohl nicht erwartet. Ich muss an einem der Stände ein handgestricktes Paar schwarz-rote Wollsocken für ein paar Euro erwerben und verteile gleich einen der Flyer, was bei der Verkäuferin auf Begeisterung stößt. Sie hatte von der Fahrt im russischen Fernsehen gehört und freute sich richtig, einige von uns jetzt persönlich zu treffen. Sie musste mir daher unbedingt eine handgemachte Seife aus Petschory und ein kleines Glückstier schenken. Ganz ganz lieb die Menschen.
 Und noch ein paar Fische ...
In der Wartezeit hatte Roman frisches Brot und Kwas gekauft, beides im Kloster hergestellt. Gute Zutaten machen gutes Essen – beides einfach superlecker und der erste Hunger ist gestillt, sodass wir weiter nach Isborsk fahren können (nachdem Claus uns für morgen zum Frühstück schnell noch ein Brot beschafft hat). Diese uralte Siedlung war sicher auch sehr interessant – aber ich muss gestehen, nach all den Eindrücken und Emotionen aus Petschory war ich nicht mehr wirklich aufnahmefähig. Da es zu regnen begann, zogen wir uns nach relativ kurzer Zeit Richtung Auto zurück. Am Parkplatz standen Fischhändler und ich kam nicht umhin, uns zwei geräucherte Fische für „aufs Brot“ zu beschaffen. Der Beutel mit getrockneten Makrelen (vermute ich) wurde extra für uns noch aufgefüllt und mir wurde eine frische Birne in die Hand gedrückt. Hungern müssen wir also heute nicht. Dann ging es wieder in Richtung Pskow.
 Abschied: Oksana, Claus, Andrea, Lena
Die Verabschiedung von Lena, Oksana und Roman fiel mir irgendwie richtig schwer, Adressen und Facebook-Kontakte wurden ausgetauscht, aber Pskow und Haibach ob der Donau sind schon ziemlich weit voneinander entfernt. Für mich war es eine dieser besonderen freundschaftlichen Begegnungen, die einem das Leben präsentiert, wenn man sich die Zeit dafür nimmt. Druschba eben.
Ja. Es ist ärgerlich, dass mein Auto defekt ist.
Aber ja, ich bin froh, dass es so gekommen ist. |
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