26.12.2020

Von Christiane Borowy

Menschen mit Mut – Ralf Ludwig

 

In Deutschland ist es rechtmäßig, Menschen, die für den Erhalt der Grundrechte im Zuge der Corona-Pandemie eintreten als „Covidioten“ zu bezeichnen. Diese und andere Abwertungen führen dazu, dass sich ein tiefer Riss durch die Gesellschaft zieht. Einen freien Debattenraum gibt es so gut wie nicht mehr. Dabei gibt es gute Gründe, auf die Straße zu gehen, um öffentlich zu zeigen, dass es zahlreiche Menschen gibt, die mit den neuen gesetzlichen Regelungen nicht einverstanden sind und die sich für die Wiederherstellung demokratischer Rechte und Freiheiten engagieren. Ralf Ludwig ist Rechtsanwalt aus Leipzig, der sich dafür einsetzt, dass nach den Bedürfnissen von denjenigen gefragt wird, die demonstrieren. Sein Hauptziel ist es, gewaltfrei zu bleiben und sich mit juristischen Mitteln einen freien Debattenraum zu erstreiten.

 

Christiane Borowy: Wie erklären Sie jemandem, der Sie noch nicht kennt, wer Sie sind?

Ich kann das einmal äußerlich beschreiben: Ich bin 48 Jahre alt, Rechtsanwalt, Papa einer wundervollen Tochter, digitaler Nomade, schon immer ein Querdenker. In mir drinnen bin ich ein Sinnsucher. Jemand, der immer über sich selbst, die ihn umgebende Gesellschaft nachdenkt. Und dabei fast immer optimistisch und positiv ist.

Sie sagen, Sie seien schon immer ein Querdenker gewesen. Beziehen Sie sich damit auf die so genannte „Querdenker-Bewegung“?

Ich bin aktuell einer der Anwälte der Querdenker-Bewegung. In dieser Bewegung haben sich viele Menschen gefunden, die Ereignisse und Informationen kritisch hinterfragen. Also tatsächlich eine Ansammlung von Querdenkern.

Ihr gesellschaftliches Engagement war auch schon vor dem Corona-Jahr 2020 zu erkennen, beispielsweise für diejenigen, die Kinder haben und für die das Thema Kitaplatz wichtig war. Vom Kitaplatz-Engagement zum „Querdenker-Anwalt“- Wie war der Weg zu einer Schlüsselfigur der Proteste für den Erhalt der im Grundgesetz verankerten Rechte?

Das habe ich mir nicht ausgesucht. Ich habe früh in der Krise gemerkt, dass etwas nicht stimmt, dass unser Koordinatensystem sich verschoben hat. Die Stabilität und die Ausgleichsfunktion der Staatsgewalten waren nicht mehr da. Dann wurde die Staatsmacht schnell übergriffig gegen die Kollegin Beate Bahner und ich habe gedacht: Jetzt muss ich etwas tun.

Was meinen Sie genau? Was war da passiert?

Der Staat hat extrem schnell Allgemeinverfügungen und Rechtsverordnungen erlassen, die unglaublich tief in Grundrechte eingeschnitten haben. Die Gerichte haben von Beginn an weder die formelle noch die materielle Verfassungsmäßigkeit auch nur in Zweifel gezogen. Staatliche Maßnahmen wurden bis auf kleine Anpassungen als grundsätzlich unangreifbar angesehen. Die Parlamente haben sich völlig zurückgezogen; die Kanzlerin hat mit den Ministerpräsidenten in einem Gremium, das unsere Verfassung nicht vorsieht, Entscheidungen getroffen. Damit war die Gewaltenteilung gewissermaßen aufgehoben. Ich selbst sehe mich in der Tradition der Kritischen Theorie und habe mich viel mit den Erfahrungen der intellektuellen Exilanten wie Adorno, Fromm, Brecht und Thomas Mann beschäftigt. Die Frage, die sich immer stellte, war: Wie konnte so etwas passieren? Und ich habe an Adornos Satz erinnert:

„Hitler hat den Menschen im Stande ihrer Unfreiheit einen neuen kategorischen Imperativ aufgezwungen: Ihr Denken und Handeln so einzurichten, dass Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe.“

Hatten Sie keine Angst, dass man mit Ihnen genauso verfahren würde?

Nein. Ich hatte davor keine Angst. Ich habe dann aber mit Victoria Hamm und Dr. Bodo Schiffmann die Partei Widerstand2020 gegründet, weil ich ein Schutzschild wollte. Meine Idee war, dass es schwerer sein wird mit oppositionellen Politikern derart umzugehen als mit Einzelpersonen.

In den Medien wird Ihnen die Gründung des Projektes Klagepaten zugeschrieben. Was hat Sie dazu veranlasst?

Klagepaten gibt es schon seit 2016. Ursprünglich war der Verein gegründet, mittellosen Eltern, vor allem auch Migranten bei der Suche nach einem Kitaplatz und der Finanzierung von Anwaltskosten zu helfen. Diesen Verein haben wir dann in diesem Jahr ausgebaut, um Menschen in der Coronakrise helfen zu können und zum Erhalt von Rechtsstaatlichkeit beizutragen. Das Ziel ist, Recht leicht verständlich zu machen, damit die Menschen sich selbst ermächtigen können.

Wurden Sie selbst auch schonmal verklagt?

Ja. Der Staat mag es aktuell nicht, wenn man ihn kritisiert. Gerade klagt die Deutsche gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) gegen Äußerungen von mir zum Thema Tragezeiten von Masken bei der Arbeit und in der Schule. Damit kann ich gut leben, denn es zeigt, wie vermengt inzwischen die Interessen sind und wie die DGUV instrumentalisiert wird, um die Maskenagenda entgegen jeglicher Evidenz durchzusetzen. Das Thema bleibt spannend.

Von Ärzten sagt man, sie seien selbst die schwierigsten Patienten. Verunsichert es Sie, wenn Sie selbst „auf der anderen Seite“ stehen?

Nein, da Einzelentscheidungen ohnehin vom Glück und der aktuellen Machtstruktur abhängen. Prof. Mausfeld hat das in seinem Buch „Angst und Macht“ sehr gut zusammengefasst: Das Recht wird entformalisiert durch die systematische Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen. Bei der Frage, was ein „Ansteckungsverdächtiger“ ist, kann der Staat und können die Richter entscheiden, wie sie wollen. Ohne klare Definition ist dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Egal was in den Verfahren passiert, erhalte ich neue Erkenntnisse für mich. Ich vertrete mich auch selten selbst, damit ich nicht betriebsblind bin.

Sie ecken also auch an. Was motiviert Sie, trotz Zuschreibungen und Stigmatisierungen wie „Verschwörungs-Anwalt“, „Aluhut-Träger“ oder „Vertreter der rechten Querdenker-Bewegung“, weiter engagiert zu bleiben?

Ich sehe keine Anfeindungen. Ich bin sehr in meiner Mitte und weiß, wer ich bin. Ich bin ein antiautoritärer Papa mit großem Hang zum gesellschaftlichen – nicht wirtschaftlichen – Liberalismus. Wenn jemand irgendwo schlechte Sachen schreibt, dann sage ich mir: Was Peter über Paul sagt, sagt mehr über Peter als über Paul. Ansonsten freue ich mich über Widerspruch und Kritik. Das lässt mich reifen. Natürlich mache ich Fehler, und da ich in der Öffentlichkeit stehe, darf man mich auch öffentlich kritisieren.

Es gab in Berlin massive Polizeigewalt, zum Beispiel wurde mit Wasserwerfern gegen Demonstranten vorgegangen. Ist das nicht ganz konkret erlebbare physische Gewalt, selbst wenn man selbst nur zusehen muss?

Ich war noch bei keinem Wasserwerfereinsatz dabei. Wenn ich da war, haben sie die immer zurückgezogen. Aber selbstverständlich erleben wir gerade physische Gewalt und selbstverständlich fühlt man sich unglaublich ohnmächtig, wenn man das sieht. Dennoch erlebe ich die psychische Gewalt als schlimmer, da es diese Menschen in eine tatsächliche oder gefühlte Ausweglosigkeit treibt. Das ist der Samen für eine Gewaltspirale, die ich unbedingt verhindern will.

Hat sich Ihr Glaube an den deutschen Rechtsstaat verändert?

Nein. Er zeigt sein Gesicht nur deutlicher. Ein Rechtsstaat wie in Deutschland dient den Interessen eines neoliberalen kapitalistischen Gesellschaftssystems. Dieses sollte sich in ein basisdemokratisches System mit echter Mitbestimmung und Teilhabe und Machtausübung auf Zeit transformieren. Für diese Prozesse brauchen wir die gesamte Bevölkerung, ein anders Mehrheitssystem (zum Beispiel Systemisches Konsensieren) und einen angstfreien Debattenraum.

Was sagen Sie jemandem, der sich verzagt an Sie wendet, weil er oder sie den Mut verloren hat?

Ich nehme ihn oder sie in den Arm und sage: Wir schaffen das gemeinsam. Wir alle sind wichtig und jeder von uns hat außergewöhnliche Fähigkeiten, mit denen er oder sie die Welt ein bisschen besser machen kann.

Wie schaffen Sie es, unabhängig von äußeren Umständen auf Ihrem Weg zu bleiben?

Ich bin in meiner Mitte. Ich meditiere viel. Ich habe das Privileg, viel am Meer leben zu dürfen. Ich habe tolle Freunde, eine wunderbare, liebevolle Tochter. Und ich habe Eltern, mit denen ich keine uneingeschränkt angenehme Kindheit verbracht habe, mit denen ich inzwischen einen liebevollen Umgang gefunden habe, der mir Wurzeln gibt und mich immer wieder stärkt.

Haben Sie Angst vor der Zukunft?

Nein. Wir machen als Menschheit gerade einen ruckeligen Transformationsprozess durch. Am Ende wird eine bessere, eine liebevolle Gesellschaft stehen. Ich spüre das an den vielen tollen Menschen, die ich in diesem Jahr kennenlernen durfte.

Wann haben Sie schon einmal Ihren größten Mut aufgebracht?

Ich spüre gar nicht, dass ich Mut aufbringe. Der mutigste Moment war, dass ich mich von der tollen Mama meiner Tochter getrennt habe und diese Nachricht mit ihr meiner Tochter überbracht habe. Und trotz der großen Traurigkeit meiner Tochter bei dem Entschluss geblieben bin. Das war tatsächlich der härteste Moment meines Lebens.

Sie gehen mit Ihrem Engagement jeden Tag Risiken ein, zum Beispiel könnten Sie ihre Zulassung als Anwalt verlieren. Oder Sie könnten bedroht werden, wie viele Menschen, die es wagen, sich ohne Maske in der Öffentlichkeit zu zeigen. Dann braucht es eine Portion Mut, es trotzdem zu tun. Wie gehen Sie mit solchen Unsicherheiten, Existenzängsten oder Angst vor Ausgrenzung um?

Alles das, was Sie beschreiben sind Bedrohungen von außen. Das, was wirklich zählt ist aber meine Einstellung dazu. Wenn ich weiß, wer ich bin, wenn ich mit mir im Reinen bin, dann können mich Ereignisse von außen nicht bedrohen. Natürlich habe ich Angst. Diese nehme ich aber wahr und stelle mich ihr. Ich glaube, dass ist auch der Kern der derzeitigen Krise. Solange Menschen in Angst verharren und nicht danach streben, mit sich selbst ins Reine zu kommen, sind Manipulation und Beherrschung möglich. Ein freier Geist kann nicht beherrscht werden.

Welche Quellen von Mut kennen Sie?

Nur eine: Bleib immer bei dir und folge deiner Intuition.

Laura Malina Seiler, von der ich weiß, dass Sie sie sehr schätzen hat in einem ihrer Bücher gesagt: „Mit jedem Herzschlag sagt dein Herz dir: Lebe! Lebe ein außergewöhnliches Leben, lebe voller Mut, lebe voller Freude, lebe voller Kraft, lebe als Ausdruck von Liebe, lebe als reiner Ausdruck von mir.“

Herz, Gefühl, Liebe, Mut – inwieweit passen solche eher spirituellen Gedanken in ihr gesellschaftliches Engagement als Jurist?

Spiritualität und Rechtswissenschaft schließen sich nicht aus. Wir haben immer mit Menschen zu tun. Bei Rechtsstreitigkeiten geht es immer um Gefühle, um Macht, um Befriedigung, Recht zu haben und Recht zu bekommen. Dabei werden fast immer Verlierer produziert. Würden wir unser Recht viel näher an den Gefühlen der Menschen konzipieren, mehr Reden, mehr Verstehen, mehr Nachempfinden und Spüren, würde unsere Welt gerechter aussehen. Gerade jetzt fehlen diese Spiritualität und Empathie. Die furchtbaren Entscheidungen zu Masken, Demonstrationsverboten oder Quarantäne von Kontaktpersonen zeigt das eindrucksvoll.

Warum braucht die Welt jetzt den „vollen Mut“, zu dem Laura Malina Seiler aufruft, ihn zu ergreifen?

Die Welt braucht keinen Mut, sie braucht Menschen, die sich selbst spüren, in ihre Mitte gehen und sich davon nicht abbringen lassen. Es braucht mehr Blick nach innen und weniger Bewertung des Außen.

Wie meinen Sie das genau? Dass Menschen weniger auf Demonstrationen gehen, sondern lieber inneren Frieden suchen mögen?

Nein. Auf unseren Demonstrationen sehe und finde ich viele Menschen, die mir spiegeln, dass ich mit meinen Gefühlen nicht allein bin. Wir sind soziale Wesen. Dennoch ist es meine Aufgabe, für mich und meine Bedürfnisse Verantwortung zu übernehmen. Das kommt von innen. Die Frage ist ja, was ist das Ziel der Demonstrationen? Die Menschen sammeln sich, um auf ihr Bedürfnis nach einem Debattenraum aufmerksam zu machen. Diesen zu erstreiten, ist mein Ziel des Protests. Und ich habe das Gefühl, bei aller Repression, dass das gerade auch passiert. Dieser Debattenraum kann aber aus meiner Sicht nur zu einer besseren Gesellschaft werden, wenn wir uns von den äußeren Zwängen eines neoliberalen Kapitalismus innerlich lossagen können und somit tatsächlich frei gemeinsam und in Akzeptanz des Andersseins eine neue friedliche und liebevolle Gesellschaftsordnung erschaffen.

Vielen Dank, für das Gespräch und für Ihr Engagement für freie Debattenräume und einen liebevollen Umgang miteinander.

 

Erschienen bei Frische Sicht

 

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