23.07.2021

 

Sich auszukennen hat schon was
 

Nach einem Frühstück bin ich wieder zur Kirche gegangen, es war wieder eine Messe, es waren wieder viele, viele, viele junge Leute da. Pubertierende Jugendliche, die bei uns eher in der Drogenszene zu finden sind, gehen hier in die Kirche, und zwar nicht weil sie gezwungen werden, hat man zumindest nicht den Eindruck. Ist schon recht faszinierend. Diesmal habe ich mir aber keine ganze Messe gegeben, ich brauche Sonne um mich wieder aufzuwärmen, heute Nacht ist es mir nur ein bißchen warm geworden. Hier vor der Kirche stehen Verkäuferinnen, die mich als potentielles Opfer für Schmuck ausgemacht haben, ohoh, dem mus ich irgendwie entkommen, mal sehen wie das gelingt.

Die einzige Verkäuferin die mich überhaupt nicht belästigt hat, war lt eigener Aussage vaterlose Mutter von fünf Kindern, deren Mutter gestorben war, die auf der Straße lebte. Ich bin näher gegangen, habe ihr einen Rosenkranz abgekauft und sie hat mir dann noch eine Statue dazu geschenkt für das Glück. Also irgendwie ist die Welt schon ziemlich verkehrt.

Habe ich schon erwähnt? Auch hier scheinen viele Menschen arbeitslos zu sein. Viele junge Männer auf der Straße, die einfach nur rumhängen, an einem Mittwoch vormittag um 11:00 Uhr und viele verkaufen Dinge, die man überall kaufen kann, Empanadas, Bananen, eine Vielzahl von Sachen. Manche Kinder verkaufen „Chiclets“, also Kaugummis, und eben diese Frau, die mir vor der Kirche den Rosenkranz verkauft hat, es musste einfach sein. Die Armut, die Arbeitslosigkeit ist sichtbar, aber vergleichsweise wenig Alkoholiker, nur eben Menschen, die versuchen Dinge zu verkaufen und damit Geld verdienen wollen. Wie in fast allen Dörfern oder Städtchen, die ich bis jetzt sah: auch hier sobald man die Hauptstraße verläßt, ein bis zwei Straßen weiter, kommt man auf Schotterstraßen die bestenfalls schlechtes Kopfsteinpflaster, aber meistens Sandpiste ist, und das sind jetzt nicht besonders arme Gegenden, hier stehen auch teure Autos vor den Türen. Es ist meinem Gefühl nach eine gemischte Gegend, also klassischer Mittelstand nehme ich an, denn es sind manchmal recht teuer wirkende Häuser und auf jeden Fall die sehr teuren Autos davor. Was bei uns wahrscheinlich nicht als Mittelstand durchginge, aber für hiesige Verhältnisse vermutlich ist. Was ich gar nicht oft genug betonen kann, ich habe mich hier noch nicht einmal irgendwie wirklich bedroht gefühlt. Unwohl ja in Ciudad d'Este unter den Junkies, aber da fühle ich mich am Karlsplatz in Wien auch nicht besonders wohl. Von daher ist das jetzt nichts was irgendwie auffällig wäre, im Gegenteil, bei diesen hochgradig armen Menschen fühle ich mich verdammt sicher, unbelästigt, von Verkäufern mal abgesehen, positiv und freundlich aufgenommen.

Woran erkennt man, dass in einem Haus Einwanderer, vermutlich aus Europa kommen? Am Land stehen die Container am Haus, und werden als Werkstatt, Garage oder sonst was genutzt, gehört hier wohl einfach dazu, es ist billiger einen Container zu kaufen und zu nutzen, als ein kleines Haus zu bauen. Irgendwie irre. Ach, ein weiteres Erkennungsmerkmal, der gut gemähte Rasen vor der Haustür, gilt aber nicht überall.

Bevor ich es vergesse, für alle die glauben das Paraguay das richtige Fluchtland ist, trotz meiner bisher eher skeptischen Berichte, Paraguay hat heute, den 21.07.21 die Einreisebestimmungen geändert. Einreise nur mit PCR Test, fünf Tage Quarantäne, anschließend wieder PCR Test. Dann ist man wieder in die Freiheit entlassen, man ist hier genauso Opfer der Regierungswillkür. 2 Millionen Dosen Pfizer wurden großzügig von en USA an Paraguay gestiftet. Ist das der Fluchtpunkt den ich suche? Ich fürchte nein.

So, jetzt bin ich wieder mit dem Collectivo von Caacupe nach Capiatá gefahren, es hat Ewigkeiten gedauert, es hat gerumpelt im Bus, aber dieses harte Rumpeln war deutlich angenehmer als der Schwindel im Überlandbus, ich bin gut angekommen und mir geht es wieder gut. Habe die Fahrt gut überstanden, bin bei Evelyn angekommen, das war irgendwie wie achhause kommen. Jetzt mache ich noch einen kleinen Spaziergang durch Capiatá, das auf einmal viel weniger chaotisch wirkt, als es bei der Ankunft der Fall war. Komisch, nicht wahr?

Jetzt habe ich mich allmählich an das System des Landes gewöhnt, es braucht halt immer seine Zeit, und schon geht es bald wieder Retour. Morgen besuche ich Katharina Hesse in Villeta und fahre mit einem Uber-Taxi. Am Freitag muss ich mich dann um einen PCR Test und ähnliche Kleinigkeiten kümmern, aber das ist ja kein Problem, da wird mir Evelyn sicher helfen. Ob ich noch nach Asuncion fahre weiß ich nicht, das hängt von meiner Stimmung ab.

Ich laufe durch capiata und konnte es mir nicht verkneifen, habe mir eine neue Bauchgürteltasche gekauft, meine ist zwar noch ganz gut, aber da ich ständig mit sowas rumlaufe, konnte ich bei dem Angebot von 2,50 Euro einfach nicht vorbeigehen, bei uns kosten sie günstig um die 10 Euro. Ja, Kaufrausch, muss sein. Auch hier wieder eine Mischung aus schönen Häusern, vernachlässigten Häusern, Häusern mit Hühnern, Villen, alles beim Kopfsteinpflaster, alles eingezäunt, mal mit Stacheldraht und NATO Schutz, mal von einem normalem stacheldraht, insgesamt eine ruhige Nachbarschaft. Sehr freundliche Menschen, die einem unterwegs grüßen, ich als große Blonde falle natürlich auf.



 
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